Die Medica von Bologna / Roman
Baldrian und Melisse. Ich zeigte, wie man Verbände anlegt und Leinen zerrupft, um Scharpie für die Wundversorgung herzustellen.
Dies alles tat ich und noch viel mehr, und die drei Strohlager im Saal der Bettler mussten bald um weitere ergänzt werden. Monat um Monat verging auf diese Weise, und ich arbeitete wie im Rausch. Was ich dafür bekam, war weitaus mehr als Geld. Ich bekam es in überwältigender Menge, und ich bekam es jeden Tag: Es waren Achtung, Freundschaft, ja, sogar Liebe. Wenn ich operierte, trug ich stets meine goldene Maske. Zunächst aus Scheu vor unbekannten Gesichtern, später aus Gewohnheit. Das Gesicht der Venus zu meinem eigenen zu machen, das wurde mir zur Selbstverständlichkeit, ebenso wie ein Satz unter den Armen und Verlorenen zur Selbstverständlichkeit wurde. Er hieß: »Bist du krank, geh zu Carla, der Medica.«
Die Verehrung der Bettler genoss ich in vollen Zügen. Ich fühlte mich wohl und wichtig und dachte wenig an Latif. Weil ich mich immer seltener in meinem Haus sehen ließ, sagte er eines Tages zu mir: »Herrin, ich bin damals zu Euch gekommen, weil ich spürte, dass Ihr mich braucht. Gewiss, ich wollte auch der Pesthöhle Venedig entfliehen, aber ohne mich hättet Ihr es vielleicht nicht geschafft. Seitdem war ich immer an Eurer Seite, und ich konnte immer etwas für Euch tun. Jetzt kann ich nichts mehr für Euch tun. Ihr braucht keinen Diener mehr. Es wird das Beste sein, wenn ich mir eine neue Herrin suche.«
»Was sagst du da?« Seine Worte trafen mich wie ein Schlag. Mir war nicht klar gewesen, wie sehr er an mir hing. Natürlich hatte ich hier und da sein trauriges Gesicht bemerkt, wenn wir uns wieder einmal mehrere Tage lang nicht gesehen hatten, aber dass er so sehr unter unserer Trennung litt, war mir völlig entgangen. »Das tut mir sehr, sehr leid.« Ich ergriff seine dicke, fleischige Hand. »Das musst du mir glauben.«
»Ich glaube es Euch, Herrin. Aber was nützt das? Solange Ihr Ärztin in der Casa Rifugio seid, könnt Ihr nicht hier in unserem Haus sein – und braucht auch keinen Diener.«
»Was du sagst, stimmt.« Ich überlegte, wie ich ihn versöhnlich stimmen konnte, und fuhr fort: »Ich sehe, dass du nichts zum Abendessen vorbereitet hast, weil du nicht wusstest, ob ich komme. Deshalb werde ich heute für uns beide kochen. Mal sehen, was ich für uns zaubere.«
»Herrin, bitte, gebt Euch keine Mühe. Da ist nichts zu zaubern. Es ist nichts im Haus. Wozu auch.«
»Natürlich«, sagte ich und kam mir ziemlich hilflos vor. »Aber was kann ich denn tun?«
»Nichts, Herrin. Die Kranken sind offenbar wichtiger als ich.«
»Sag so etwas nicht. Zugegeben, in dem Moment, wo ich die Kranken behandele, sind sie wichtiger. Ansonsten aber bist du natürlich wichtiger.«
»Wenn Ihr nichts anderes mehr tut, als Kranke zu heilen, nützt mir das nichts, Herrin. Ich bin auch krank, meine Seele ist krank, und um wieder gesund zu werden, muss ich gehen. Ich habe lange zu Allah, dem Erbarmer, dem Barmherzigen, gebetet, dass er mich erleuchte, und er hat mir gesagt, dass ein Ort wie dieser, der keine Begegnung mehr kennt, ein schlechter Ort ist.«
»Weißt du was?« Mir war etwas eingefallen. Eine Lösung, die so einfach schien, dass ich mich fragte, warum ich nicht schon früher darauf gekommen war. »Wir ziehen zusammen ins Haus der Bettler. In der Casa Rifugio bist du immer in meiner Nähe und kannst wieder mein Diener sein.« Ich war so froh über meinen guten Einfall, dass ich ihn in die Arme nahm.
Doch zu meiner Überraschung machte er sich los und sagte: »Das geht nicht, Herrin. Unser Haus wäre verwaist, es wäre unbeaufsichtigt, und jedermann könnte einbrechen und unser Hab und Gut stehlen. Nein, ich muss hier bleiben.« Und mit einem schweren Seufzen fügte er hinzu: »Oder gehen.«
Ich schluckte. »Latif, rede nicht so. Ich mag das nicht. Du gehörst zu mir.«
»Das klingt süß wie das Harfenspiel des Engels Gabriel. Aber wenn Ihr …«
»Kein Aber, Latif«, sagte ich fest. »Ich will alles tun, um in Zukunft wieder häufiger zu Hause zu sein.«
»Oh, wirklich, Herrin?«
»Ja, wirklich.«
Latifs Augen leuchteten. »Darf ich Euch küssen, Herrin?«
»Nein«, sagte ich, und als ich sein enttäuschtes Gesicht sah, tat es mir fast leid, seinen Wunsch abgelehnt zu haben.
Doch ich blieb dabei.
In der Folgezeit gab ich mir redlich Mühe, häufiger zu Hause bei Latif zu sein, aber die Wahrheit ist, dass es mir kaum gelang. Die Arbeit in der
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