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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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von Evas Beschaffenheit überprüfte. Vieles, was ich hörte, stimmte überein, aber manches auch nicht, und jedes Mal fragte ich mich, wo der Grund dafür zu suchen sei.
    Da ich weder den Professor noch den Doktor, noch Eva um Antwort fragen konnte, begann ich, medizinische Literatur zu lesen. Bei der Beschaffung war mir wiederum Schwester Marta behilflich, die sich bei Mutter Florienca für mich verwendete. So hatte ich Zugriff auf sämtliche Librarien des Klosters, besorgte mir die Werke vieler alter Meisterärzte und las sie. Und während ich mich mit ihren Schriften beschäftigte, drang ich von Mal zu Mal tiefer in das geheime Wissen der Medizin ein. Ich las den
Kanon
von Avicenna, einem arabischen Arzt, der auch als Ibn Sina bekannt ist, vertiefte mich in die
Aphorismen
des Hippokrates, beschäftigte mich danach intensiv mit dem nach ihm benannten Eid und studierte mit großem Interesse alles, was ich über Galen erhalten konnte: Die Werke
Ars Medica, Decrisibus, De Febrium Differentiis, De Ingenio Sanitatis,
dazu die
Fabrica
von Vesalius
 …
    Ich las wie im Fieber, blieb bis in die Morgenstunden auf, schleppte mich nach nur wenigen Stunden Schlaf müde zu den frommen Schwestern und war während des Dienstes leider viel zu oft in Gedanken schon auf meinem Beobachtungsposten über der
Scuola d’Aranzio
.
    Doch trotz all meiner Bemühungen gelang es mir nicht, manche Widersprüche in der Medizin zu enträtseln. Erst viel später sollte ich erkennen, dass der Wunsch nach vollkommenem Wissen unerfüllbar ist und dass Forschung nur so lange seine Berechtigung hat, wie Fragen vorhanden sind. Fragen jedoch werden immer vorhanden sein, denn allwissend ist nur Gott der Allmächtige.
    In dieser Zeit, es war im August 1573, fiel mir ein Buch in die Hände, das gerade bei einem Bologneser Drucker namens Giovanni Rossi erschienen war. Es handelte sich um die Neubearbeitung eines Werkes, das 1502 von dem Dominikanermönch Silvestro Mazolini da Prierio verfasst worden war und den furchteinflößenden Titel trug:
Aureus tractatus exorcismique pulcherrimi et efficaces in malignos spiritus effugandos de obsessis corporibus.
Es ging in dem Traktat um »schöne und wirksame Exorzismen gegen die bösen Geister, um sie aus den Körpern Besessener auszutreiben«, und der Autor der Neubearbeitung war niemand anders als Girolamo Menghi, jener Hexenjäger, vor dessen Verfolgung meine Mutter mich auf dem Sterbebett gewarnt hatte.
    Die Lektüre dieses Hetzwerkes trug nicht gerade zu meiner Selbstsicherheit bei, mehr noch, je tiefer ich in die abstrusen Gedankengänge des Girolamo Menghi eindrang, desto größer wurde meine Besorgnis, die
voglia di vino
in meinem Gesicht könne als Hexenmal gedeutet und ich als Zauberin vor das Tribunal der Inquisition gezerrt werden.
    Es kostete mich schlaflose Nächte und viele Gebete, bis ich meine Sicherheit halbwegs wiedererlangt hatte. Marco, der mich in dieser Zeit ein paarmal besuchte, tat ein Übriges. Er grinste sein Grinsen und sagte: »Carla, Carla, man könnte glauben, du lebtest in vergangenen Jahrhunderten. Falls du es noch nicht weißt: Wir befinden uns im Zeitalter der Gebildeten, der
Humanistae.
«
    »Was heißt das?«, fragte ich, noch immer nicht ganz beruhigt.
    »Humanistae
nennen sich die Inhaber einschlägiger Lehrstühle, wie Professor Aranzio oder Doktor Tagliacozzi. Sie sehen in der Sprache den Unterschied zum Tier und den Ursprung gelebter Menschlichkeit. Die Kultivierung der menschlichen Sprache macht uns zu dem, was wir sind, hebt uns empor und befähigt uns zum Philosophieren. Sprache macht uns zum Individuum, sie versetzt uns in die Lage, christliche Dogmen, wie die Einrichtung der Inquisition, kritisch zu betrachten. Die Inquisition ist barbarisch und unzeitgemäß, immer mehr Gebildete in unserem Land erkennen das.«
    Ich hatte Marco aufmerksam zugehört. Das, was er sagte, klang wie auswendig gelernt und nicht danach, als wäre es seine eigene Erkenntnis. Immerhin hatte er versucht, mir meine Ängste zu nehmen, auch wenn ich keineswegs sicher war, ob Girolamo Menghi sich einen Deut um die Meinung der
Humanisti
scherte. »Ich wünschte, du hättest recht«, sagte ich.
    »Natürlich habe ich recht. Aranzio, Tagliacozzi, Aldrovandi, Cardano, Benacci, Turchi, Garzoni und wie die Herren Lehrmeister alle heißen, bekennen sich zur Menschlichkeit. Sie sind gläubig wie alle guten Katholiken, aber gleichzeitig offen für die Suche nach dem Neuen.«
    »Sagen sie das selbst, oder

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