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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Anatomiepüppchen.«
    »Ein Anatomiepüppchen?« Sosehr mich das bisher Gesehene gefesselt hatte, so sehr wurde es von der Einmaligkeit dessen, was ich jetzt sah, in den Schatten gestellt. Das Püppchen bestand aus gewachstem Holz, dessen feine Maserung seinen Leib wie Adern zu durchziehen schien. Es wirkte in allen seinen Körpermaßen so lebensecht, so vollkommen, ja, man muss sagen, so natürlich, als wolle es sich jeden Moment erheben und zu sprechen beginnen.
    »Nehmt es nur in die Hand. Ihr werdet sehen, es birgt eine Menge Überraschungen.«
    Ich tat, wie mir geheißen, und untersuchte die kleine Figur mit äußerster Vorsicht. Rufe des Entzückens kamen über meine Lippen, als ich feststellte, dass die winzigen Arme abnehmbar waren, ebenso wie die Beine und das hübsche Köpfchen mit dem flachsblonden Haar. Der Brust- und der Bauchbereich hatten die Funktion eines Deckels, nach dessen Entfernung miniaturkleine Organe, jedes für sich herausnehmbar, sichtbar wurden: Herz, Lunge, Leber, Niere, Milz, Magen, alles war vorhanden, sogar die verschlungenen Windungen des Darms. »Ein Anatomiepüppchen«, wiederholte ich immer wieder andächtig, und es klang so, als spräche ich ein Gebet. »Ich muss es unbedingt besitzen.«
    Alberto Dominelli, das Männchen, lächelte zufrieden. »So hat mir dieses kleine Püppchen, welches die höchste Form meines Leitsatzes
Corpus in perfectio natura
darstellt, am Ende doch Erfolg gebracht. Ihr seid eine interessante, aber auch schwer einzuschätzende Kundin, wenn ich das sagen darf, denn Ihr verbergt Euer Gesicht hinter einem Schleier.«
    »Oh, nun ja.« Ich verstand die unausgesprochene Frage und gab rasch die Antwort, die ich mir für solche Fälle zurechtgelegt hatte: »Die Schwestern von San Lorenzo finden ihre Erfüllung in einem gottgefälligen, keuschen Leben, Signore. Das Anlegen des Schleiers soll gleichzeitig ein Symbol für das Ablegen der Eitelkeit sein.«
    »Natürlich, natürlich«, beeilte das Männchen sich zu versichern. »Ich nehme an, Ihr wollt das Püppchen gleich mitnehmen?«
    »Nichts lieber als das. Wie viel kostet es denn?«
    »Dreieinhalb Scudi.«
    »Dreieinhalb Scudi? So viel habe ich nicht.« In meinen Worten muss wohl grenzenlose Enttäuschung gelegen haben, denn das Männchen überlegte einen Augenblick und fragte dann: »Wie viel könnt Ihr denn aufbringen?«
    Ich nestelte in der Tasche meiner Zimarra und holte meine lederne Geldkatze hervor. Darin befand sich mein Lohn für den vergangenen Monat, den mir Mutter Florienca am Morgen persönlich ausgezahlt hatte. »Ich habe nur zwei Scudi und zehn Baiocchi, mehr nicht.«
    »Nun, nun, das wäre ja schon fast so viel. Andererseits müsst Ihr bedenken, dass die Figur in vielen, vielen Arbeitsstunden von einem Holzschnitzkünstler angefertigt wurde. Allein die dabei zur Anwendung gekommenen winzigen Werkzeuge sind so kostbar, dass ich jedes für sich hier ausstellen könnte. Hm, hm. Ach, wisst Ihr was? Ich gebe Euch das Püppchen auch so. Ich bin zwar kein Krösus, aber ich will auch kein Knauserer sein.«
    Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre dem kleinen, runzligen Mann um den Hals gefallen, lediglich der Gedanke, dass die zwei Scudi und die zehn Baiocchi meine gesamte Barschaft darstellten und ich ansonsten nichts mehr besaß, hielt mich zurück. »Ich danke Euch, Signore, ich danke Euch sehr!«
    »Ich freue mich, wenn Ihr Euch freut.« Er gab mir das Püppchen für das Geld und wünschte mir mit vielen freundlichen Worten noch einen guten Tag.
    Ich aber hatte nichts Eiligeres zu tun, als mit meiner neuerworbenen Kostbarkeit nach Hause zu laufen.
     
    Ich weiß nicht, wie oft ich in der Folgezeit das Anatomiepüppchen auseinandernahm und wieder zusammensetzte, ich weiß nur, dass ich es so oft tat, bis ich den genauen Sitz seiner Organe wie im Schlaf kannte. Ich nannte das Püppchen Eva, nach der Urmutter aller Menschenfrauen, und Eva lehrte mich auf ihre Art, wirklichkeitsnah die Autopsie eines Körpers vorzunehmen. Mich störte dabei keineswegs, dass sie nicht männlich war wie nahezu alle Leichen, die auf dem Sektionstisch der
Scuola d’Aranzio
lagen, denn aus den Lesungen wusste ich, dass Mann und Frau, bis auf die äußeren und inneren Geschlechtsmerkmale, im Wesentlichen gleich sind.
    Was Eva mir offenbarte, verglich ich immer wieder mit dem, was Professor Aranzio und Doktor Tagliacozzi bei ihren Demonstrationen zeigten, ebenso, wie ich das, was ich in ihren Lektionen gelernt hatte, anhand

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