Die Medica von Bologna / Roman
Schmerzen erdulden müssen, er fühlte sich wahrscheinlich auch wie ein zur Schau gestelltes Tier.
Hinter seinem Stuhl standen zwei Studenten, von denen der eine Marco war, und neben Marco befand sich ein Tisch, auf dem eine Reihe blitzender Instrumente lag. Daraus schloss ich, dass Marco und sein Kommilitone bei der Behandlung assistieren sollten. Ich erkannte Professor Aranzio, der sich etwas abseits hielt und offenbar nicht in das Geschehen eingreifen wollte, und den jungen Doktor Tagliacozzi. Er trug an diesem Tag ein schwarzes, in tiefe Röhrenfalten gelegtes Wams, das seine schlanke Figur betonte, ebenso enge Beinlinge und einen vielfach gefältelten weißen Rundkragen nach spanischer Mode. Ein warmes Gefühl durchströmte mich, als ich ihn mit seiner klaren, festen Stimme sprechen hörte: »… so viel zu den ersten drei der insgesamt sieben Akte, in die wir die Behandlung einer Nasenrekonstruktion einteilen, liebe
Studiosi.
Kommen wir nun zum Vierten Akt, der den Hauptteil der heutigen Demonstration bilden soll.«
Tagliacozzi machte eine kurze Pause und ließ sich von dem glatzköpfigen Prosektor eine leinene Schürze umbinden. »Bildet zwei Gruppen links und rechts von unserem Kranken, liebe
Studiosi,
damit jeder gut sehen kann … So ist es gut. Bevor ich mit der eigentlichen Operation beginne, möchte ich erwähnen, dass der Vierte Akt normalerweise am Vormittag bei hellem Tageslicht vorgenommen wird, nachdem der Kranke geruht und gegessen hat. Er soll vor der Operation leichte Kost zu sich nehmen, etwa Reis und gekochtes Geflügel, die wenig Rückstände hinterlassen.«
Beim Wort »Rückstände« kicherten zwei oder drei der Studenten albern, und Tagliacozzi schaute stirnrunzelnd in ihre Richtung. Dann nahm er den Faden wieder auf: »Der Darm des Kranken sollte täglich arbeiten und im Bedarfsfall sanft dazu angeregt werden. Nachtluft ist für die Operation ebenso schlecht wie eine regnerische Atmosphäre oder jene, in welcher der Südwind vorherrscht. Der Schlaf des Patienten sollte angemessen sein, denn zu viel Schlaf füllt den Kopf mit Feuchtigkeit.«
Wieder machte Tagliacozzi eine Pause und schaute fragend in die Runde: »Weiß jemand, warum Feuchtigkeit in unserem Falle so schädlich ist?«
Als keine Antwort kam, gab er sie selbst: »Das Verheilen der Wunde verlängert sich durch übertriebenen Feuchtigkeitsfluss in die Hautregion, und die sich vereinigenden Teile werden dadurch gereizt.«
Einige der Studenten murmelten zustimmend.
»Deshalb spielt auch die Jahreszeit für die Operation eine nicht unerhebliche Rolle. Der Frühling gilt als die beste Zeit, denn er ist warm, mild und trocken. Diese Meinung vertrat bekanntlich auch Celsus, der im Siebten Buch seiner
De re medica
ausführlich von den Vorzügen des Frühlings für die Wundheilung spricht.«
»Richtig«, mischte sich an dieser Stelle Professor Aranzio ein. »Ihr seht, liebe
Studiosi,
am heutigen Tag haben wir für die Aufführung des Vierten Akts unserer Nasenkonstruktion nicht weniger als drei Voraussetzungen außer Acht gelassen: Wir haben kein Tageslicht, es ist nicht Vormittag, und wir haben keinen Frühling. Dennoch war es Doktor Tagliacozzi und mir wichtig, Euch den für heute vorgesehenen Schritt zu zeigen. Doktor Tagliacozzi wird die Demonstration mit gewohnter Präzision und mit Erfolg durchführen.«
»Danke, Professore«, sagte der junge Doktor. »Dann beginne ich jetzt. Doch zuvor möchte ich noch mehr Licht.«
Einer der Studenten stellte mehrere Halterungen mit Fackeln in unmittelbarer Nähe des Kranken auf.
»Danke. So möge nun der Vierte Akt beginnen. Marco, bitte gebt mir das kleinste Skalpell, das vor Euch auf dem Tisch liegt.« Nachdem er das Instrument erhalten hatte, trat Tagliacozzi von der Seite an den Kranken heran und sagte: »Bei unserem Patienten handelt es sich um Messer Giancarlo de’ Bonfigli, einen Seidenkaufmann aus der Gemeinde San Mamolo. Verzeiht, Signore«, sagte er zu dem Kaufmann, »dass ich Euren Namen erst jetzt erwähne, aber ich möchte Euch während der gesamten Prozedur so wenig wie möglich behelligen. Nur so viel: Die Zeit, da Ihr in Euch gefangen wart, ist gleich vorbei. Ich werde den Stiellappen, der Euren Oberarm mit Eurer Nase verbindet, durchtrennen, und Ihr werdet dabei, obwohl darin noch Leben ist, kaum Schmerzen verspüren.«
De’ Bonfigli schloss die Augen, zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Doktor Tagliacozzi, das Skalpell in der Hand, wandte sich wieder an die
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