Die Medizinfrau
beide überleben. Dafür sorge ich.«
Die nächste Wehe schwappte über Amy hinweg. Amy quetschte Olivias Finger, während der Schmerz sie peinigte. Nachdem Amy sich wieder beruhigt hatte, trat Olivia in den Flur und wischte sich die Tränen aus den Augen.
Und dann rief sie Gabriel.
Jebediah Crowe nahm einen tiefen Zug von seinem scharfen Tanglefoot und wischte sich zufrieden den Mund. Das Zeug schmeckte gut, wärmte ihn bis in die Zehen, und in einer Nacht wie dieser brauchte ein Mann viel Wärme von innen. Zugegeben, er wußte aufregendere Methoden, um warm zu werden, doch der Magenbitter war ein guter Anfang. Er entdeckte Sally, die an den Tischen neben der Bar bediente und lächelte. Heute hatte er genügend Münzen, um sie die ganze Nacht zu haben
– einige Hüttenarbeiter hatten geglaubt, sie könnten den alten Jeb beim Pokern abzocken. Und er hatte alles wieder reingeholt, was er in der letzten Woche verloren hatte und noch ein paar Dollar mehr. Und heute nacht wollte er Sally zeigen, was er drauf hatte. Doch vorher wollte er sich noch ein Glas Tanglefoot genehmigen. Die Arbeiter auszunehmen hatte ihn mächtig durstig gemacht.
Er winkte Sally an seinen Tisch, doch sie schaute betont in die andere Richtung. Schließlich brüllte er nach der Bedienung. Der verfluchten Hure würde er Manieren beibringen, bevor die Nacht vorüber war.
Sally kam immer noch nicht. Fluchend stapfte Jeb an die Bar und ließ sein Glas auf den Tresen niedersausen.
»Was trinken Sie?« fragte der Barmann.
»Noch einen Tanglefoot. Wieso wird man in dieser Kneipe nicht am Tisch bedient?«
Der Barmann zuckte gleichgültig die Achseln.
Während er auf den Drink wartete, entdeckte Jeb einen fleckigen, zerknitterten Steckbrief auf dem Tresen. Das Gesicht auf dem Fahndungszettel kam ihm bekannt vor.
»Was steht da drauf?« Er hielt dem Barmann den Zettel hin.
»Steckbrief«, entgegnete der Barmann. »Die suchen einen Mann namens Will O’Connell wegen Mord.«
»O’Connell?« Jeb lachte in sich hinein und beäugte die Zeichnung, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Gabriel Danaher aufwies. »Ich weiß, daß ich das Gesicht schon mal auf einem Steckbrief gesehen habe. Wegen Mord, sagen Sie?«
»Ein Typ namens Rodgers legte die Handzettel vor einigen Tagen hier aus. Sagt, er bezahlt gut, wenn ihm jemand sagen kann, wo dieser O’Connell sich versteckt. Mir kommt das Gesicht auch bekannt vor, weiß aber nicht woher.«
»Wo finde ich diesen Rodgers?«
»Der schaut am Dienstag wieder rein, meinte er.«
»Sag ihm, er soll mich besuchen – Jebediah Crowe ist mein Name. Ich wohne im Grand. Und das sagst du ihm, sobald du ihn zu Gesicht bekommst, es soll dein Schaden nicht sein.«
»Mach ich. Bist wohl ganz scharf darauf, das Kopfgeld zu kassieren, wie?«
»Zum Teufel. Mir geht es nur um die Gerechtigkeit. Ich hab’ was dagegen, wenn Mörder frei rumlaufen.«
Grinsend ging Jeb mit seinem Glas Tanglefoot zum Tisch zurück. Heute war sein Glückstag, jawohl. Will O’Connell alias Gabriel Danaher würde es noch leidtun, daß er Jeb Crowe gereizt hatte, und Jeb Crowe mußte sich nicht mehr die Hacken ablatschen nach einer reichen Silbermine. Er würde bald eine fündige Mine erben.
Erschöpft lehnte Olivia sich an eine Säule der Veranda und ließ den Tränen freien Lauf, die sie so lange zurückgehalten hatte. Sie hatte eine unendliche Verantwortung auf sich genommen, ein großes Risiko, doch was hätte sie sonst tun können? Die Tatsache, daß Amy und ihr Töchterchen beide wohlauf waren, schrieb sie einem Wunder zu, nicht ihrem ärztlichen Können.
Einem Wunder und menschlicher Hilfe, denn ohne Gabriels ruhige Assistenz hätte sie die Operation niemals durchführen können. Er hatte ihre Anweisungen genau befolgt, hatte Amy die richtige Dosis Chloroform gegeben, hatte die Instrumente in Phenol desinfiziert und sie ihr gereicht, hatte Blut abgetupft, ihr den Schweiß von der Stirn gewischt, und die schlafende Amy mit Adleraugen auf Anzeichen einer Verschlechterung ihres Zustands beobachtet. Dann hatte er den winzigen Säugling gewaschen und in warme Tücher gehüllt, während Olivia den Bauchschnitt vernähte. Und während der ganzen Zeit erinnerte Olivia sich mit einem Lächeln, daß er ganz still und ziemlich grün im Gesicht gewesen war. Erst nachdem das Baby an Amys Seite schlief, verließ er das Zimmer, um sich zu übergeben. Dann kam er wieder, blaß und etwas beschämt, und half Olivia sauberzumachen.
Gott segne ihn,
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