Die Medizinfrau
Eine große Kanne. Es wird eine Weile dauern. Können Sie jemand nach einer Hebamme schicken?«
»Ich gehe selbst, Dr. Baron.«
Amy schrie auf, und Sylvester stöhnte mit ihr. Olivia legte ihre Hände auf Amys Bauch und stellte fest, daß die Wehen noch ziemlich schwach waren. Amy keuchte mehr aus Angst.
»War das sehr schlimm, Amy?«
»N-n-nein.«
»Es sind die ersten Wehen, und der Verlauf ist normal. Versuch dich zu entspannen.«
Sylvester hatte den Kopf in die Hände gestützt und sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Olivia nahm ihn am Arm und führte ihn vom Bett weg. »Sylvester«, sagte sie leise, »du verstärkst Amys Angst und machst alles nur noch schlimmer für sie.«
»Mein Gott, Olivia!«, flüsterte er verzweifelt. »Sag bitte, daß sie nicht stirbt! Bitte! Ich kann ohne sie nicht leben! O Gott, ich bin an allem schuld!«
Olivia tätschelte seinen Arm. »Bitte warte unten.«
»Nein, ich muß bei ihr bleiben. Es sind die letzten Stunden, die ich mit ihr verbringen kann …«
»Nein, Sylvester. Ich kann mich nur um einen Patienten kümmern. Komm mit mir.«
Olivia war erstaunt, Gabriel noch im Salon vorzufinden. Sie hatte angenommen, er sei gegangen, als sie aus dem Zimmer stürmte, um nach Amy zu sehen. Ihren Liebeskummer hatte sie in eine Schublade gesperrt, um ihn zu einem späteren Zeitpunkt wieder zuzulassen. Sein Anblick drohte alle Mauern zum Einsturz zu bringen, die sie aufgebaut hatte.
»Gabriel?«
»Wie geht es Mrs. Talbot?«
»Sie bekommt ihr Kind.«
»Es sollte doch erst im Februar soweit sein.«
»Babys haben manchmal ihren eigenen Kopf.«
Vom Schlafzimmer im ersten Stock war ein Schrei zu hören. Olivia hielt Sylvester auf, der kehrtmachte und die Treppe wieder nach oben wollte. »Ich bin froh, daß du noch da bist, Gabriel. Kümmerst du dich um ihn?« Sie schob ihm Sylvester zu.
Gabriel hob eine Augenbraue. »Was soll ich mit ihm tun?«
»Ich weiß nicht. Bring ihn irgendwo hin. Binde ihn fest, wenn nötig. Hauptsache, du hältst ihn davon ab, ins Schlafzimmer zu stürmen. Er hat mehr Angst als Amy, und die beiden steigern sich nur gegenseitig in Panik.«
»Ich kümmere mich um ihn«, willigte Gabriel mit einem satanischen Grinsen ein. »Gibt es Schnaps im Haus?«
»Schau in der Bibliothek nach. Durch diese Tür.«
»Kommen Sie, Talbot.« Gabriel nahm Sylvester bei der Schulter und drehte ihn in die von Olivia angegebene Richtung. »Ich glaube, Sie können einen Schluck Whiskey vertragen.«
Mrs. Grisolm legte eine Gummimatte und ein sauberes Laken aufs Bett, während Olivia Amy half, ein frisches Nachthemd anzuziehen und mit ihr langsam auf und ab ging.
»Soviel Flüssigkeit«, jammerte Amy mit einer Grimasse. »Diese Schweinerei.«
»Eine Kindsgeburt ist keine besonders saubere Sache, Liebste, aber es lohnt sich.« Olivia lächelte. »Das sagen jedenfalls alle Mütter, die es hinter sich haben.«
»Olivia, glaubst du wirklich, das Baby ist gesund?«
»Es wird alles gut, Amy. Aber du mußt tapfer sein. Die innere Einstellung kann oft viel helfen, ob eine Entbindung schwierig oder leicht verläuft.«
»Wo ist Sylvester?«
»In guten Händen. Ich habe ihn Mr. Danahers Obhut überlassen.«
»Du meine Güte!« Ein spitzbübisches Lächeln huschte über Amys Gesicht. »Das dürfte interessant werden.«
»Der Wasserkessel pfeift«, meldete Mrs. Grisolm. »Ich brühe Tee auf, dann hole ich die Hebamme, Dr. Baron.«
»Ja, bitte Mrs. Grisolm. Vier Hände sind immer besser als zwei.«
Die Hebamme war nirgends aufzutreiben. Ihre Schwester meinte, sie sei zu einer Geburt auf die Chalmers Farm fünf Meilen von hier gerufen worden, war aber nicht sicher. Sie hatte auch vor, sich in Boulder nach einem Kutschenpferd umzusehen. In diesem Fall, berichtete Mrs. Grisolm, würde sie erst in zwei, drei Tagen zurück sein, weil ihr jetziges Kutschenpferd langsamer war als eine dreibeinige Schildkröte.
Somit waren sie und Mrs. Grisolm allein, überlegte Olivia. Sie stand im Flur des ersten Stockes und zog besorgt die Stirn in Falten. In den Stunden, in denen Mrs. Grisolm die Hebamme gesucht hatte, hatten sich Amys Wehen verschlimmert. Die Krämpfe waren stärker und folgten dichter aufeinander, ohne daß der Fötus sich in den Geburtskanal drehte. Olivia tastete Amys Bauch ab. Das Kind war nicht zu einer vorzeitigen Geburt bereit, es hatte noch nicht die richtige Position. Mehrmals versuchte sie vergeblich, den Fötus zu drehen.
»So ein Pech, daß
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