Die Medizinfrau
schnappen. Die Sonne scheint verlockend.«
»Ja. Wer würde denken, daß ein Januartag so strahlend sein kann. Ich mach einen Spaziergang. Wenn ich nicht genug Bewegung habe, werde ich schwermütig.«
»Wenn du in die Stadt gehst, schau bitte beim Juwelier neben Shriners Kaufladen vorbei und frag’, ob die Krawattennadel fertig ist, die ich für Sylvester bestellt habe? Sie wurde mir für Weihnachten versprochen.«
»Eine Schande, dich so lange warten zu lassen.«
»Nun, meine Liebe, wir sind hier nicht in New York.«
»Nein. Da hast du allerdings recht.«
Die kalte Januarluft weckte Olivias Lebensgeister. Rauch hing in der Luft, und in der Ferne schimmerten schneebedeckte Berggipfel im bleichen Licht der Wintersonne.
Mrs. Covey in dem kleinen Juweliergeschäft entschuldigte sich tausendmal, daß Sylvesters Krawattennadel immer noch nicht fertig sei. Olivia kaufte in Fords Süßwarenladen eine Tüte Pfefferminzbonbons. Dann betrat sie Shriners Laden. Der Hut, den Gabriel gern als Kopfbedeckung für einen Maulesel gesehen hätte, lag immer noch da. Olivia lächelte in der Erinnerung, die das Gebilde in ihr wachrief.
»Ist das nicht ein entzückendes Hütchen, Miß Baron?« Henry Shriners Frau Penelope lächelte zu Olivia herüber. »Probieren Sie ihn ruhig auf. Er kleidet Sie sicher fabelhaft.«
»Nein, danke, Mrs. Shriner. Heute will ich mich nur mal so zum Zeitvertreib umsehen.«
»Ach ja. Zu schade, daß Männer einfach keinen Sinn dafür haben, welchen Spaß das macht. Sie sind aber spitz geworden. Gott, wie froh Sie wohl sind, dieses Abenteuer unbeschadet überstanden zu haben. Besonders jetzt.«
»Warum jetzt?«
»Nach all dem, was man jetzt über Mr. Danaher weiß, oder besser über Mr. O’Connell. Davon haben Sie sicher gehört. Die ganze Stadt spricht davon.«
»Ich war die ganze Woche mit Mrs. Talbot zusammen.« Olivias Herz schlug wie ein Hammer. »Was ist mit Mr. Danaher?«
»Er wird gesucht!« Sie hob ihre Augenbrauen. »Unter uns gesagt, die Hälfte der Männer dieser Stadt wird wegen irgendwelcher Delikte gesucht. Aber Mord ist dann doch etwas anderes.«
»Mord?« Olivia hielt die Luft an. »Woher wissen Sie das?«
»Ein Kopfgeldjäger – Henry glaubt jedenfalls, daß er einer ist, obwohl er behauptet, er komme im Auftrag eines angesehenen Mannes aus Virginia City.«
Virginia City – Gabriel hatte eine Ranch in der Nähe von Virginia City.
»Er verteilte Handzettel in der ganzen Stadt. Aber die Leute hier wollen eigentlich nicht in der Vergangenheit anderer herumschnüffeln. Die meisten haben ja selbst Dreck am Stecken. Ein unangenehm aussehender Kerl sagte dem Kopfjäger, er könne ihn zu Mr. Danahers Hütte bringen. Erst vor einer Stunde waren die beiden hier und haben Proviant gekauft – mehr Munition als Bohnen!
Du lieber Himmel, Sie sind ja ganz blaß geworden. Das muß ja ein Schock für Sie sein zu wissen, daß Sie die ganze Zeit in den Händen eines Mörders waren.« Ihre Stimme wurde leise vor Grauen. »Und noch dazu eines Frauenmörders. Der Mann hat die Indianerin umgebracht, mit der er zusammenlebte. Aber deswegen sind sie nicht hinter ihm her, sondern weil er den Mann erschossen hat, der bei ihr war.«
Olivia war, als habe man ihr mit einem Holzhammer auf den Kopf geschlagen. Gabriel soll seine geliebte Minnie ermordet haben? Unmöglich. Lächerlich. Er hatte die Frau geliebt, hatte Kinder mit ihr. Ein solche grausames Verbrechen würde er niemals begehen.
Und dennoch schwieg er sich darüber aus, warum er seine Ranch in Virginia City verlassen hatte. Und er neigte zu Jähzorn.
Nein! Unmöglich! Aber ein Kopfgeldjäger war unterwegs, um die Belohnung einzustreichen, wenn er Gabriel faßte. Ein anderer, der den Weg zum Thunder Creek kannte, ritt mit ihm in die Berge. Sie stellte sich vor, wie die beiden Männer auf die friedliche kleine Lichtung ritten mit der Munition, die sie vor einer Stunde bei Shriner gekauft hatten. Gabriel war völlig ahnungslos. Katy würde versuchen, ihm zu helfen und verletzt werden. Und Ellen auch.
Sie mußte etwas unternehmen.
»Sind die Männer schon losgeritten?« fragte Olivia.
»Wer denn?«
»Der Kopfgeldjäger. Ist er schon losgeritten, um Mr. Danaher zu fassen?«
»Ich glaube eigentlich nicht. Mr. Rodgers – so heißt der Mann, der die Handzettel verteilte – sagte, daß sein Pferd lahmt, und er fragte, wo er einen guten Gaul bekommt. Ich habe ihn zum Mietstall geschickt, und Gregg Smoot wird solange um den Preis
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