Die Medizinfrau
Ire.«
»Schon. Aber fünf gegen einen fand ich unfair. Also habe ich ihm geholfen – wegen des Gleichgewichts. Aber das nützte nicht viel. Wir wurden beide furchtbar verdroschen. Und für mich waren die Docks seither nicht mehr der sicherste Ort. Deshalb habe ich mich an Avery gehängt und bin mit ihm in den Westen gezogen. Der Bursche war nicht sehr kräftig. In der Nähe des Schwarzfuß-Reservats, nicht weit im Norden von hier starb er an Lungenentzündung. Schade um ihn. Er war ein Prachtkerl.« Er grinste und machte einen Zug mit seiner Königin. »Er vermachte mir dieses Schachspiel. Schachmatt.«
Olivia seufzte.
»Mit Ihnen zu spielen ist lustiger als mit Katy«, grinste Danaher boshaft. »Sie schlägt mich immer.«
Doch Olivia erfuhr nichts über seine Schwarzfußfrau; auch nicht, warum er sich mit seinen zwei schönen Töchtern in die Berge zurückgezogen hatte, oder warum er sich von den Bewohnern von Elkhorn so sehr abschloß, daß sie glaubten, er lebte mit zwei indianischen Geliebten in Sünde. Sie dachte an Amys Worte, die annahm, er werde von der Polizei gesucht, und scheute sich, weiter in ihn zu dringen. Vielleicht erfuhr sie Dinge, die sie gar nicht wissen wollte.
Olivia saß am Feuer und las in einem der Bücher, die sie zu ihrem Erstaunen in der Hütte gefunden hatte, als Katy mit kleiner Stimme eine Frage stellte.
»Sie sind keine wirkliche Ärztin, nicht wahr?«
»Doch, das bin ich.«
»Ein Doktor ist ein Mann.«
Olivia legte das Buch beiseite, trat an Katys Bett und fühlte ihre Stirn. Kein Fieber. Und sie redete. Gute Zeichen.
»Es gibt viele Frauen, die Ärzte sind, Katy. Seit vierzig Jahren studieren Frauen Medizin und werden Ärzte. Heute ist die Welt der Frauen nicht mehr so eingeengt wie früher.«
»Ich habe aber noch nie keinen weiblichen Doktor gesehen«, entgegnete das Mädchen eigensinnig.
»Habe nie einen weiblichen Doktor gesehen, heißt es. Man sagt nicht ›nie keinen‹.«
»Mir egal. Ich weiß, was es heißt.«
Olivia zog Katy die Decke bis zum Kinn hoch. »Ist dir warm genug?«
»Hören Sie auf, mich zu bemuttern. Ich bin kein Baby mehr.«
»Nein, das bist du nicht. Aber du warst sehr krank. Es wäre nicht gut, wenn du dich jetzt erkältest.«
»Ich krieg schon keine Erkältung nich. Wo ist mein Pa?«
»Auf der Jagd.«
»Verflucht! Und ich werde von einer Krankenschwester ins Bett gesteckt.«
Dem Kind müßte man den Mund mit Seife auswaschen, dachte Olivia. Und außerdem mußte man ihr Manieren beibringen. Je gesünder sie wurde, desto feinseliger wurde ihr Benehmen.
»Das ist aber keine Ausdrucksweise für eine junge Dame, Katy.«
Katy warf ihr einen Blick voll Verachtung zu. »Wieso nich?«
»Man sagt nicht ›kein … nich‹, und Fluchen schickt sich nicht für eine Dame. Selbst ein Mann ist ein ungehobelter Rüpel, wenn er flucht.«
»Hören Sie nicht auf Katy«, riet Ellen mit schläfriger Stimme. »Sie ist ein Rüpel, und darauf ist sie auch noch stolz.«
»Ich bin kein Rüpel nich. Ich kann auf mich selber aufpassen.«
»Wie fühlst du dich, Ellen?« Olivia überhörte den Trotz in Katys Stimme und legte ihre Hand auf Ellens Stirn.
»Besser.«
»Möchtest du etwas essen?«
Ellen verzog das Gesicht. »Brühe?«
»Wenn ich mit Pa auf der Jagd wäre, gäbe es heute abend schönen fetten Rehbraten«, prahlte Katy. »Ich schieße nämlich besser als Pa.«
»Tust du nicht!« wiedersprach Ellen.
»Tu ich doch! Die Hirschkuh vor einem Monat hab’ ich genau zwischen die Augen getroffen. Die ist wie ein Stein umgefallen.«
»Das ist ja ekelhaft.«
»Aber geschmeckt hat sie dir.«
»Es ist ekelhaft, daß du schießt statt zu kochen wie andere Mädchen.«
»Kochen ist langweilig. Ich schaffe das Fleisch heran. Warum soll ich auch noch kochen?« Katy schaute Olivia verächtlich von der Seite an. »Ich wette, die kann auch nicht kochen. Sie ist eine Ärztin.«
»Wetten, daß du nicht gewußt hast, daß auch Frauen Doktor sein können«, stichelte Katy weiter.
»Hab ich schon gewußt. Ich hab’ mal eine Geschichte über Elizabeth Blackwell gelesen. Sie ist Ärztin.«
»Elizabeth Blackwell war die erste Frau in den Vereinigten Staaten, die ein Medizinstudium absolviert hat«, erklärte Olivia.
Katy schien nicht an Olivias Beteiligung am Gespräch interessiert. Ellen machte ein ausdrucksloses Gesicht.
»Sind Sie eine Freundin von Pa?« fragte sie unvermittelt.
»Nicht direkt. Er wußte, daß ich Ärztin bin und bat mich, euch zu
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