Die Medizinfrau
zu. Das Mädchen ertrug den kleinen Eingriff mit großer Tapferkeit und verlangte hinterher nach einem Schluck Whiskey gegen die Schmerzen. Im Begriff, ein Glas zu holen, schüttelte Gabe bei Olivias entsetzter Miene den Kopf.
»Trink lieber die gute Hühnerbrühe, Katy, mein Mädchen. Das ist besser für dich als ein Schluck Whiskey.«
»Pa!« Ihre Stimme war ein heiseres Krächzen, und sie verzog beim Sprechen schmerzlich das Gesicht.
»Sieh mich nicht so an, Katy. Trink die Brühe und leg dich wieder schlafen, wie die Frau Doktor es wünscht.«
Katy schaute Olivia giftig an.
»Wer hat die Brühe gemacht?« fragte Ellen von ihrem Bett.
»Ich«, gestand Olivia.
Ellen sah sie mitleidig an. »Die ist aber sehr dünn.«
»Weil ihr beide noch sehr schwach seid. Wenn man krank ist, soll man leichte Nahrung zu sich nehmen.«
Ellen roch naserümpfend an der Flüssigkeit in ihrer Schale.
Doch dann aßen die Zwillinge mit gutem Appetit und fielen prompt wieder in einen friedlichen Schlummer. Zu mehr als essen und schlafen waren sie noch zu schwach.
Olivia war nach der Anstrengung völlig ausgelaugt. Sie schlief in dem Bett hinter dem Vorhang. Die Müdigkeit ließ sie die klumpige Strohmatratze nicht spüren, auch störte es sie nicht, daß das Bettzeug nach Gabriel Danaher roch, ein nicht unangenehmer Männergeruch nach Leder, Seife und Schweiß, den sie zum ersten Mal auf ihrem Ritt zur Hütte wahrgenommen hatte.
Vermutlich lag es an dem Geruch, daß Olivia von ihm träumte. Sie behandelte Danaher wieder in ihrer Praxis in Elkhorn. Während sie den Verband um seinen Brustkorb legte, bohrte er ihr eine Pistole in den Bauch. Sie hörte, wie er die Waffe entsicherte, sah, wie sein Finger sich um den Abzug krümmte. Dabei fixierte er sie seinen teuflisch grünen Augen. Sie wachte gerädert auf und starrte in die Dunkelheit. Die Verwirrung, die der Traum in ihr auslöste, zwang sie aufzustehen. Ruhelos ging sie in der Hütte auf und ab, bis sie Gabe sitzen sah, der sie anschaute; in seinen Augen spiegelte sich die Glut des Feuers wider. Sie gab vor, nach den beiden Kranken zu sehen und verzog sich schnell wieder hinter den Vorhang. Sie hatte das Gefühl, der Traum habe sie in den Wachzustand verfolgt.
Danach träumte Olivia, sie reite auf einem Pferd mit ihrem Entführer, dessen rhythmischen Bewegungen sie sich anpaßte. Beim Erwachen stellte sie fest, daß sie an Danaher geschmiegt lag. Zunächst glaubte sie immer noch zu träumen, doch als sie sich bewegte, glitt eine Hand über ihre Hüfte und lag warm auf ihrem Schenkel unterhalb ihres hochgeschobenen Nachthemds. Die Berührung auf ihrer nackten Haut weckte Olivia vollends.
Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett und weckte den erschrockenen Eindringling.
»Was erlauben Sie sich?« fuhr sie ihn entrüstet an.
Danaher machte ein verdutztes Gesicht.
»Mr. Danaher!«
»Was?« Blinzelnd schüttelte er den Kopf. »Oh. Tut mir leid. Ich wollte mich nur ein wenig hinlegen. Muß wohl eingeschlafen sein.«
Eine schreckliche Ahnung stieg in Olivia auf. »Haben Sie etwa jede Nacht neben mir geschlafen?«
»Nein. Ich war oben auf dem Dachboden.«
»Dachboden?«
»Wo die Mädchen normalerweise schlafen.«
Olivia hatte geglaubt, die Leiter führe lediglich zu einem Stauraum.
»Dort oben stehen zwei kurze Liegen. Den Kindern gefällt es unter dem Dach, aber meine Beine sind zu lang.«
»Da ich wesentlich kleiner bin als Sie, sollte ich vielleicht oben schlafen.«
Die Kühle ihrer Stimme ließ ihn eine Augenbraue hochziehen. »Regen Sie sich nicht auf, Doc. Ich habe nur ein wenig geschlafen. Ich bin genauso erschöpft wie Sie. Und es war mir zu umständlich, die Leiter hinaufzukriechen.«
»Sie haben sich unschicklich vertraut benommen.«
Seine Mundwinkel verzogen sich spöttisch. »Wirklich? Und ich dachte, ich träume.«
Hitze stieg ihr ins Gesicht, und er grinste.
»Keine Sorge, Doc. Wenn ich mit einer Frau vertraulich werden will, tue ich das nicht heimlich.«
Ihr Gesicht glühte. In diesem Augenblick haßte sie Gabriel Danaher, sie derart in Verlegenheit zu bringen, was ungezählten Medizinstudenten und Professoren nicht gelungen war.
»Ich sehe nach den Mädchen«, murmelte sie mit einem verächtlichen Blick. Sie suchte nur einen Vorwand, um der peinlichen Situation zu entgehen, denn die Kinder schliefen fest. Sie hätte dem Mann eine tüchtige Standpauke halten müssen, doch als Gabriel sie mit seinen grünen Augen fixierte, verschlug es ihr die
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