Die Medizinfrau
Als sie Stunden dahinschlichen, wurde es den Zwillingen zu langweilig, Olivia zu piesacken, also gingen sie aufeinander los. Ellen beschwerte sich, daß Katy alle warmen Decken für sich beanspruchte. Katy jammerte, sie könne nicht schlafen, weil Ellen so laut schnarche. Ellen rächte sich und warf Katy ein Buch an den Kopf, und Katy weigerte sich, es zurückzugeben.
Dann las sie laut daraus vor und kicherte über besonders romantische Passagen, die sie völlig lächerlich und kitschig fand. Die Zänkereien hörten nicht auf, bis Olivia die beiden kleinen Ungeheuer am liebsten in ihren Betten festgebunden und ihnen Knebel in den Mund gesteckt hätte.
Kurz nachdem die Sonne hinter den Berggipfeln verschwunden war, kroch Danaher dreckverschmiert und verschwitzt aus der Mine und wusch sich in einem Eimer vor der Hütte.
»Wir schütten uns immer kaltes Wasser über den Kopf«, verkündete Katy von oben, die ihren Vater aus dem kleinen Dachfenster beobachtete. »Sogar im kalten Winter. Ich bin immer genau so dreckig wie er, weil ich ihm in der Mine helfe oder mich um die Pferde kümmere oder den ganzen Tag Steine auflade.«
»Das sind aber schwere und schmutzige Arbeiten für eine junge Dame.«
Katy fluchte. »Ich bin keine junge Dame nich …«
»Keine junge Dame«, verbesserte Ellen. »Doppelte Verneinung sagt man nicht.«
»Ich bin keine junge Dame nich. « Katy streckte Ellen die Zunge heraus. »Ich kann mehr arbeiten, besser schießen, besser reiten wie jeder Junge, den ich kenne. Ich kann auch weiter spucken.«
»Wer das schon will«, brummte Ellen.
Olivia seufzte entnervt. »Ihr zwei könnt jetzt zum Abendessen runterkommen. Zieht eure Hausschuhe und Bademäntel an.«
»Ist das Feuer wieder ausgegangen?« fragte Katy bissig.
»Nein, aber ihr müßt euch warm halten.«
Falls Ellen noch Zweifel hatte, daß Olivia besser kochen konnte, so schwanden diese beim Abendessen. Olivia hatte vorgehabt, eine Art Rehgulasch auf den Tisch zu bringen, hatte aber zuviel Wasser hineingeschüttet, und es wurde Suppe, was nicht schlimm gewesen wäre, hätte sie nicht zuviel Salz drangegeben. Danaher verschluckte sich beinahe am ersten Löffel, schluckte aber die versalzene Brühe tapfer hinunter. Um den Geschmack der Suppe zu mildern, griff er nach einem Brötchen, hielt aber auf halbem Wege inne. Die Brötchen waren oben hübsch goldbraun, an der Unterseite allerdings schwarz verkohlt.
»Vorsicht, Pa«, warnte Ellen. »Ich glaube, sie hat das Backpulver vergessen.«
»Backpulver?« Olivia verzog das Gesicht. »Du liebe Güte.«
Danaher nahm ein Brötchen, schlug es auf die Tischplatte und hinterließ eine Delle im Holz.
»Ich konnte kein Rezept finden«, verteidigte sich Olivia. »Ich dachte, Mehl, Wasser und Salz …«
Ellens mitfühlendes Lächeln war eher ein hämisches Grinsen.
Katy schlürfte ihre Suppe. »Iiiigitt! Die schmeckt wie Pferdepisse.«
»Katy!« schalt Danaher. »Wie redest du denn?!«
»Aber es stimmt doch.«
Danahers Mundwinkel zogen sich zu einem Lächeln hoch. »Und wenn schon. Deshalb kannst du trotzdem höflich sein.«
Olivia fühlte sich so groß wie ein Fingerhut. Rachel Olivia Baron war eine Frau, die in allem, was sie anpackte, eine geschickte Hand bewies, damit hatte ihr Vater jedenfalls gelegentlich geprahlt. Sie war nicht daran gewöhnt, sich als ungeschickt zu erweisen, und sie hatte gewiß nicht die Absicht, sich damit abzufinden. Auf irgendeinem Gebiet zu versagen – und sei es auch etwas so Unwichtiges wie Kochen oder Brötchenbacken – versetzte ihrem Stolz einen gewaltigen Schlag. Von zwei ungehorsamen kleinen Mädchen und ihrem unverschämten Vater ausgelacht zu werden, wollte sie nicht auf sich sitzen lassen.
»Ich denke, Katy ist so weit wieder hergestellt, daß sie morgen das Kochen übernehmen kann«, verkündete Olivia mit einem edelmütigen Lächeln.
Die beiden grünäugigen, hübschen Kindergesichter wandten sich ihr erschrocken zu.
»Ich koche doch nicht«, erklärte Katy.
»Ach?«
»Ich mache wichtigere Sachen.«
»Vielleicht liegen auch meine Talente auf wichtigeren Gebieten.«
»Wenn dir der Magen knurrt, kapierst du schon, wie wichtig Kochen ist«, blaffte Ellen ihre Schwester an. »Wenn Katy gesund ist, dann bin ich es auch. Ich übernehme morgen das Kochen.«
»Und ich gehe mit Papa zur Arbeit«, feixte Katy.
»Nein, das wirst du nicht«, widersprach Olivia. »Es beginnt zu schneien, und selbst wenn morgen die Sonne scheint, wird es kalt und feucht
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