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Die Medizinfrau

Die Medizinfrau

Titel: Die Medizinfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Carmichael
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aufzupassen, die nicht links von rechts unterscheiden konnte. Ihr Vater nahm sie nur wegen dieser pingeligen, rechthaberischen, alten Jungfer nicht mit auf die Jagd.
    Unten hörte sie ihren Vater hantieren, auch die Frau hörte sie. Sie redeten leise, um sie und Ellen nicht zu wecken. Ellen würde nicht einmal aufwachen, wenn ein Felsbrocken den Berg herunter gepoltert käme und gegen die Hütte donnerte. Doch Katy hatte einen leichten Schlaf. Ihr Vater müßte wissen, daß sie wach war – er war es schließlich, der ihr beigebracht hatte, daß ein leichter Schlaf lebensrettend sein konnte. Sie hoffte, er käme die Leiter herauf, um sich zu verabschieden. Dann könnte er sich entschuldigen. Sie hatte ein Recht auf seine Entschuldigung. Sie jedenfalls würde nicht hinuntergehen und ihm auf Wiedersehen sagen, diesem Verräter.
    Draußen färbte sich das erste Tageslicht golden. Die Hüttentür knarrte und fiel ins Schloß. Ein paar Minuten später schlugen dumpfe Pferdehufe auf den weichen Teppich aus Gras und Tannennadeln. Katy huschte zum Fenster, um einen letzten Blick auf ihren Vater zu erhaschen. Doch er war bereits verschwunden. Nur die Frau stand da, die Hände in die Hüften gestemmt, mit stocksteifem Rücken. Katy preßte die Lippen aufeinander und stieß einen verächtlichen Laut aus. Am liebsten würde sie wieder krank werden, dann würde es ihrem Vater leid tun, daß er sie nicht mitgenommen hatte. Aber Kranksein war auch nicht komisch. Wenn sie krank wäre, würde sie noch länger tun müssen, was diese Frau Doktor ihr befahl.
    Sie kroch wieder unter die Decke und tröstete sich mit Gedanken an die Rückkehr ihres Vaters. Ohne Katy hätte er kein großes Jagdglück. Die magere Jagdbeute würde er Ellen zum Säubern und Räuchern überlassen, während er und Katy die Doktorin nach Elkhorn brachten. Ihr Vater würde Katy bitten mitzukommen, damit sie einen Pfad durch die Lawine fand, weil er die ungeschickte Frau im Auge behalten mußte.
    Auf den ersten Blick würde die Lawine unpassierbar erscheinen, doch Katy würde einen Durchschlupf finden und die beiden das schwierige Wegstück lotsen. Danach würde er die Frau alleine ihren Weg ins Tal reiten lassen, und Katy und er würden gemächlich zurück zur Hütte reiten. Dann wären sie endlich wieder allein: Pa, Katy und Ellen. Sie brauchten niemand, schon gar nicht eine häßliche, strenge, blöde Frau aus dem Osten.
    Na ja, häßlich war sie nicht gerade, aber streng und rechthaberisch. Als Katy und Ellen krank waren, war sie ja ganz nett, aber Katy wußte, daß sie es auch ohne die Frau geschafft hätten. Da mußte schon was anderes daherkommen als so eine Krankheit wie Diphterie, um die O’Connels umzubringen, auch wenn sie sich jetzt Danaher nannten.
    Die Frau sollte sich bloß keine Hoffnungen machen. Sie hatte in Pas Bett geschlafen. Das hatte Katy mit eigenen Augen gesehen. Was zwischen einem Mann und einer Frau im Bett vorging, war Katy nicht recht klar, aber sie wußte genau, daß nur verheiratete Leute miteinander schliefen – außer die Frau war eine Hure. Olivia Baron war keine Hure. Bedeutete das etwa, daß sie vorhatte, Pa zu heiraten? Ihr Vater hatte darüber gelacht, und die Frau war grün im Gesicht geworden, als Katy davon gesprochen hatte. Vielleicht machte sie sich doch Hoffnungen. Jede Frau mit einem Funken Verstand würde sich in einen Mann wie ihren Vater verlieben.
    Katy versuchte, sich vorzustellen, wie das Leben aussehen würde, wenn das Entsetzliche einträfe. Nein, es war zu fürchterlich, um daran zu denken. Seit dem Tod ihrer Mutter waren sie auch zu dritt glücklich. Pa brauchte keine, die einen Teil seiner Liebe für sich beanspruchte. Er brauchte keine, die sich um ihn kümmerte, seine Abenteuer mit ihm teilte, mit ihm vor dem Kamin saß und sich seine Geschichten über das Zwergenvolk anhörte, die seine Mutter ihm früher erzählt hatte.
    Je früher der Thunder Creek sich einen Weg durch die Lawine bahnte, um so besser für alle. Bis es soweit war, würden die O’Connell Töchter der Frau ein für allemal klar machen, daß sie nicht das geringste Interesse an einer Stiefmutter hatten. Es wäre schließlich nicht nett, zuzulassen, daß die Frau sich weiterhin Hoffnungen machte.
    »Ellen!« flüsterte Katy und rüttelte die Liege neben sich. »Wach auf, Faulpelz!«
    »Nein«, brummte Ellen mürrisch unter der Bettdecke hervor. »Es ist noch fast dunkel.«
    »Pa ist weg.«
    »Dumme Gans. Natürlich ist er weg. Er hat doch

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