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Die Medizinfrau

Die Medizinfrau

Titel: Die Medizinfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Carmichael
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sie in Studentenpensionen gewohnt, wo diese Dienstleistungen in der Monatsmiete enthalten waren. Nach dem Studium, als sie ihre erste Arztpraxis eröffnete, zog sie wieder ins Elternhaus. Sie mußte nie eine Axt schwingen, Feuer machen oder Brötchen backen. Und ihr Handarbeitsunterricht in Miß Tatterhorns Mädchenpensionat beschränkte sich auf kunstvolle Stickereien und Näharbeiten; Nützliches war verpönt.
    Gegen Mittag beschwerte Ellen sich über die Kälte. Das Feuer war tatsächlich beinahe ausgegangen. Olivia hatte vergessen, darauf zu achten. Sie war vollauf damit beschäftigt, Gemüse für eine Suppe zu putzen und zu zerkleinern. Sie legte Holz nach, um kurz darauf einen Erstickungsanfall in der rauchigen Hütte zu erleiden.
    Hustend kam Ellen die Leiter herunter. »Erst lassen Sie uns erfrieren, und jetzt ersticken Sie uns im Rauch. Können Sie denn gar nichts Vernünftiges?«
    Olivia hatte nicht die Absicht, sich vor einer Zwölfjährigen zu rechtfertigen. »Ich kann viele vernünftige Dinge, Ellen. Mich um ein Herdfeuer zu kümmern, gehört leider nicht dazu. Das Holz muß naß sein.«
    »Es ist nicht naß. Man legt keine großen Scheite auf eine winzige Flamme. Erst muß man kleine Späne drauflegen, dann erst die großen Scheite.« Sie rümpfte die Nase. »Da stinkt aber noch etwas. Nicht nur der Rauch. Haben Sie etwa den Kaffee anbrennen lassen?«
    »Na ja …«
    »Ja.« Das Mädchen hob den Deckel der emaillierten Blechkanne und verzog das Gesicht. »Die müssen wir in Soda einweichen.«
    »Ich kümmere mich um das Feuer, weiche die Kanne in Soda ein, und du gehst wieder ins Bett.«
    »Und was ist mit Pas Abendessen?« Ellen beäugte mißtrauisch die Kartoffeln, Karotten und Rüben im Suppentopf. »Kurz bevor es dunkel wird, kommt Pa aus der Mine und will ein anständiges Essen, nicht nur Gemüsesuppe.«
    »Ich gebe Rehfleisch dazu und backe ein Blech Brötchen. Ins Bett mit dir, Ellen.«
    »Wenn es unbedingt sein muß.« Sie ließ den Blick durch die verrauchte Hütte schweifen, über den Berg Gemüseschalen auf dem Tisch und die schwarz verkrustete Kaffeekanne.
    In ihren Augen leuchtete ein Funke auf, und ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Rufen Sie mich, wenn Sie Hilfe brauchen.«
    Auf halbem Wege die Leiter hinauf, blieb Ellen stehen und blickte zurück. »Tut mir leid, wenn ich ungezogen war, Miß Baron. Es ist nicht schlimm, daß Sie von praktischen Dingen keine Ahnung haben. Meine Mama hat mir mal gesagt, ein Mädchen muß schon in sehr jungen Jahren anfangen, wenn sie eine gute Hausfrau sein will. Sie haben wohl ihre ganze Zeit darauf verwendet, Doktor zu werden und hatten keine Zeit, eine Frau zu werden. Aber Doktor ist ja auch nicht übel.«
    Olivia biß sich auf die Lippen, um nicht lachen zu müssen, während Ellen die Leiter hinaufkletterte. Die Gedanken der Kleinen waren leicht zu durchschauen. Sie hatte erkannt, daß Olivia keine Konkurrenz für sie war. Ihre Ungeschicklichkeit im Haushalt ließen Ellen nur besser in den Augen ihres Vaters dastehen. Er würde noch stolzer auf sie sein und sie für ihre Tüchtigkeit loben, mit der sie ihm das Leben auf diesem gottverdammten Berg erleichterte.
    Katy war noch schwieriger. Es war keine Seltenheit, daß Patienten die Tatenlosigkeit während der Genesung als größere Last empfanden als die Krankheit selbst. Doch Katys Rastlosigkeit war kaum zu ertragen. Ständig sprang sie unter irgend einem fadenscheinigen Vorwand aus dem Bett.
    Zunächst bot Katy sich an, Holz zu hacken. Olivia bedankte sich höflich und schickte sie wieder ins Bett.
    »Euer Vater kann heute abend Holz hacken.«
    »Dazu ist er zu müde.«
    »Dann hacke ich es eben.«
    Katy lachte. »Sie? Sie hacken sich den Fuß ab.«
    »Danke für deine Besorgnis, mein Kind. Ich nehme mich in acht. Ab ins Bett mit dir.«
    Der zweite Vorwand war, sie müsse sich Murdochs Hinterlauf ansehen.
    »Ich habe ihn heute morgen frisch verbunden«, erklärte Olivia. Auf Katys mißtrauisches Stirnrunzeln lächelte sie, denn auf diesem Gebiet war sie nun wirklich nicht zu schlagen. »Ich bin Ärztin, Katy.«
    »Sie sind ein Menschendoktor. Murdoch ist ein Pferd.«
    »Das habe ich bemerkt.«
    »Na ja, die Doktoren hier machen gelegentlich schon mal Tiere gesund. Die wissen, was sie tun. Aber Sie kommen aus dem Osten.«
    »Murdochs Hinterlauf heilt wieder, Katy. Aber du wirst nicht gesund, wenn du nicht noch ein paar Tage im Bett bleibst. Ab mit dir!«
    Und so ging es den ganzen Tag.

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