Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
auf.
»Was ist los?«, fragte ich.
Er fuhr fieberhaft mit den Händen in seine Hosentaschen, wieder hinaus, wieder hinein, als hätte er einen Anfall.
»Mein Pass! Mein amerikanischer Pass! Ich bin sicher, dass er in dieser Tasche war!«
»Wann hast du ihn zuletzt gesehen?«
»Ich habe ihn eben dort bei der Einreise gestempelt bekommen und dann wieder in die Tasche gesteckt. Ich kann mich genau erinnern. Er war hier mit meiner Bordkarte zusammen.«
Abermals durchwühlte er anfallartig die Taschen. Kein Pass.
»Er ist weg!«, verkündete er dreimal. »Ich hatte ihn hier in der Tasche«, schrie er zweimal. »Ich bin mir ganz sicher.«
»Du solltest es sofort melden gehen«, riet ich. Wenn nicht, konnte ein verzweifelter US-Immigrant diesen Pass benutzen, um mit dem nächsten Flug in die Staaten das Land zu verlassen.
Plötzlich kippte sein Patriotismus.
»Dieses Land ist unglaublich! Ich bin noch gar nicht richtig da, und schon haben sie mir den Pass gestohlen!«
Sein amerikanischer Akzent hatte sich ebenfalls verflüchtigt.
»Jemand hat wahrscheinlich beobachtet, wie du ihn in die Tasche gesteckt hast«, sagte ich.
»Ich fass es einfach nicht! Ich habe mich so gefreut, nach all diesen Jahren endlich mal wieder nach Hause zu kommen. Da bin ich noch keine Stunde hier, und dann das!«
Wie konnte ich mich davonmachen, wenn er derart in der Patsche saß? Außerdem lösen sich die kleinen Animositäten zwischen zwei Männern augenblicklich in Luft auf, wenn das Band der Not sie verknüpft. Jetzt, wo Andrew in die Bruderschaft der mutterländischen Malheurs initiiert war, verabscheute ich ihn gleich viel weniger. Ich begleitete ihn zum Sicherheitsdienst, wo er den Verlust meldete.
»Ha!«, lachte ein schmerbäuchiger Beamter. »Wie konnten Sie nur so etwas tun?«
»Was tun?«
»Sind Sie schwer von Begriff ? Wie können Sie Ihren Pass einfach so in die Tasche stecken? Und auch noch einen amerikanischen. Warum haben Sie ihn nicht innen in die Hose gesteckt? Tragen Sie keine Unterhosen?«
»Fuck you!«, explodierte Andrew.
»He!« Ein dünnerer Sicherheitsmann drohte ihm mit erhobenem Schlagstock. »Wissen Sie, mit wem Sie da reden?«
»Ruhig Blut, Andrew, ruhig Blut«, sagte ich mit versteckter Schadenfreude.
»Ich kenne meine Rechte! Er kann mir gar nichts tun!« Ich hätte beinahe gelacht.
Rasch schaltete ich mich ein und entschuldigte mich für ihn. Er sei aus Amerika; er verstehe das nicht. Zwanzig Minuten später war der Sicherheitsbeamte so freundlich, ihm zu verzeihen.
»Sprich höflich mit ihnen, damit du das bald geregelt bekommst«, sagte ich zu Andrew. »Du brauchst einen Bericht von ihnen, mit dem du zur Polizei gehen kannst.«
Trotz seiner ganzen Master- und Doktortitel nahm Andrew meinen Rat an und legte sein Dilemma in etwas unterwürfigerem Ton dar. Der Schmerbauch gab einer Beamtin die Anweisung, den Fall aufzunehmen. Sie legte Andrew ein Formular vor, das er ausfüllen sollte.
»Oga, was haben Sie uns aus Amerika mitgebracht?«, flötete die Beamtin, das Formular noch fest mit ihren Fingern verklebt.
Mit hervorquellenden Augen und hochfahrenden Brauen wandte sich Andrew mir zu. Mein Vater hatte nie einen Polizisten geschmiert, und wenn sie uns noch so lange an ihren Kontrollstellen festhielten, aber was verstand mein Vater schon vom Überleben?
»Gib ihr einfach eine Kleinigkeit, dann können sie deinen Fall als dringend behandeln«, flüsterte ich.
»Ich fass es nicht, … ich fass es einfach nicht. Mann, dieses Land ist wirklich vollkommen im Arsch.«
Nein, dieses Land war keineswegs im Arsch. Aber es bot sich auch nicht für Idealisierungen und rührseliges Heimatgetue an. Sobald man die harte Wirklichkeit akzeptierte und sich darauf einstellte, war Nigeria das schönste Land der Welt.
33
Wenn es einen Weltrekord für die schnellste Morgentoilette gab, dann hatte ich ihn soeben gebrochen. Während ich die Treppe hinuntersauste, fuhr ich mir hastig mit dem Kamm durchs Haar. Ich keuchte, als ich an meinem BMW ankam. Bevor ich hineinsprang, inspizierte ich mein Äußeres kurz im Autofenster. Ich zog mein Jackett glatt und richtete meinen Hemdkragen, doch das alles war nicht von Bedeutung. Ein derart sündhaft teurer Anzug sprach für sich selbst, ob glattgezupft oder nicht. Mein Handy klingelte, als ich rückwärts zum Tor hinausstieß. Es war Charity.
»Charity, ich bin unterwegs. Ich bin unterwegs. Ich fahre gerade los.«
Sie war erleichtert.
Meine Schwester hatte am
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