Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
jemand so blind sein konnte, meinen Vater zu verdächtigen, er hätte öffentliche Gelder veruntreut. Jeder konnte sehen, dass er keine Viertelpennys besaß. Onkel Boniface hingegen war so reich, dass es stank. Er wurde allgemein verdächtigt, ein 419er zu sein und größtenteils davon zu leben, dass er nichtsahnende Ausländer, die seinen per E-Mail und Fax in die Welt geschickten Geschichten glaubten, um ihr Geld betrog. Jedes Mal, wenn sein Name fiel, geriet mein Vater in Rage.
»Ich weiß nicht, warum ihr überhaupt noch seinen Namen erwähnt«, sagte er zu Mutter. »Es muss euch doch klar sein, dass es eine Schande ist, so einen Menschen in der Familie zu haben.«
Die Schwangere neben mir fischte eine kleine Wasserflasche aus ihrer Tasche. Sie trank verstohlen mit kleinen Schlucken.
Der Priester kehrte zu Lukas und zu seiner tiefen Stimme zurück. Um die Trauer des reichen Mannes zu illustrieren, kniete er sich auf den Zementboden, legte beide Handteller übereinander und wechselte wieder zu seiner schrillen Stimme. Er führte vor, wie der reiche Mann Vater Abraham anflehte, er möge Lazarus gestatten, ihm zu einem Tropfen Wasser zu verhelfen, und wie der alte Patriarch ihm die Bitte abschlug. Er beschrieb, wie der Reiche verlangte, er möge Lazarus in seines Vaters Haus senden, um seine Brüder vor diesem Ort der Qual zu warnen. Einen Augenblick war mir, als wäre er dabei gewesen, als dies alles geschah.
Plötzlich verklang die Stimme des Priesters. Die Ventilatoren an der Decke hörten auf, sich mit flappendem Geräusch zu drehen, die Lampen hörten auf zu leuchten, und es wurde totenstill im Saal. Es war eine der üblichen Störungen der NEPA, der National Electric Power Authority . Getreu ihrem allseits beliebten Spitznamen Never Expect Power Always war der Strom ausgefallen. Ein paar Männer aus der ersten Reihe eilten nach draußen, während der Priester unbeirrt versuchte, seine Predigt fortzusetzen. Ich hörte, wie die Männer irgendwo außerhalb des Gebäudes den Seilzug zum Anlassen des Generators betätigten. Der Motor lief an und ging fast sofort wieder aus. Sie versuchten es immer wieder. Jedes Mal sprang der Motor an, und jedes Mal ging er wieder aus. War das Benzin alle? War der Motor kaputt? Die Männer kehrten in den Kirchensaal zurück. Einer von ihnen trat zu dem Priester und flüsterte ihm etwas zu. Darauf verließ dieser das Pult und setzte seine Predigt ohne Verstärker fort.
Die Schwangere neben mir angelte Papiertücher aus ihrer Tasche und wischte sich Lippen und Hände sauber, wobei sie sorgsam darauf achtete, die Spalten zwischen den Fingern zu rubbeln. Dann fächelte sie sich wieder mit ihrem Plastikfächer.
»Meine Brüder und Schwestern«, flehte der Priester inständig, wobei er die Arme in die Luft reckte, so dass sie wirkten wie ein mächtiges Geweih, und den Kopf langsam von einer Seite zur anderen schwenkte. »Wahrlich, ich sage euch: Das Einzige, was auf dieser Welt wirklich zählt, ist Jesus. Vergesst das Geld, vergesst den Ruhm, vergesst alles, was diese Welt zu bieten hat. Konzentriert euch nur darauf, in den Himmel zu kommen. Alles andere ist unwichtig.«
Wider Willen musste ich lachen. Wusste dieser fromme Mann wirklich, wovon er redete? Meine Familie war vollkommen verarmt, meine Schwiegermutter in spe hatte die Geduld mit mir verloren, mein Vater litt an einer kostspieligen Krankheit. Und dieser Mann hier wollte mir weismachen, dass ich Geld und die Welt vergessen sollte. Sollte das ein Witz sein?
Die Schwangere neben mir stieß mir einen drallen, nach Eiweiß stinkenden Finger in die Schulter.
»Lassen Sie mich durch«, sagte sie. »Ich muss zur Toilette.«
Ich betrachtete ihren vorstehenden Bauch, der meinem Gesicht bedrohlich nahe war, und kämpfte gegen die Versuchung an, sie zu fragen, warum sie nicht einfach in ihrer Einkaufstasche wühlte und einen Pisspott herausholte. Widerstrebend zügelte ich mich und rückte meine Knie zur Seite, um sie durchzulassen. Ihre fetten Schenkel blieben vor mir stecken. Am Ende musste ich aufstehen, damit sie weiterkonnte.
Den Rest von dem, was der Priester sagte, hörte ich nicht mehr, und das nicht nur, weil er ohne Mikrofon sprach. Bei jeder Pause dachte ich, die Predigt wäre vorbei. Doch immer sprach er weiter. Erst als die Gemeinde laut gemeinsam betete, wurden mir alle Zweifel genommen, dass er endlich, endlich fertig war. Just als er zu seinem Platz in der ersten Reihe zurückkehrte, kam auch die Schwangere
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