Die Meerhexe
als plötzlich eine Stimme hinter uns – das Rückfenster war offen – uns anrief, uns nicht zu rühren. Wir gehorchten. Dann sagte die Stimme, ich solle meine Waffe fallenlassen. Der Knabe war nicht mehr als anderthalb Meter von mir entfernt, und ich stand mit dem Rücken zu ihm – also ließ ich meine Waffe fallen. Tote Helden haben noch nie jemandem nützen können. Daraufhin wurde uns befohlen, uns umzudrehen, was wir auch brav taten. Der Mann trug eine Strumpfmaske. Dann kam der Fahrer herein und band uns die Hände auf dem Rücken zusammen, und als wir uns zu ihm umdrehten, hatte er sich auch eine Strumpfmaske übergezogen.«
»Schließlich fesselte er noch Ihre Füße und band Sie beide zusammen, damit Sie nicht vielleicht irgendwie an eines der Telefone herankämen.«
»Ersteres ist richtig, aber die Telefone haben sie zerschlagen, bevor sie starteten.«
»Sind sie sofort gestartet?«
»Nein«, sagte Gorrie, »erst fünf Minuten später. Die Piloten geben immer erst den Flugplan durch, bevor sie losfliegen. Ich nehme an, die Kidnapper zwangen Campbell, das auch diesmal zu tun – damit niemand Verdacht schöpfte.«
»Das heißt gar nichts«, sagte Mitchell. »Man kann einen Flugplan doch jederzeit ändern. Wie steht es mit dem Treibstoff?«
»Die Helikopter sind immer voll aufgetankt. Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen. Lord Worth hat es angeordnet.«
»In welche Richtung flogen die Kidnapper?«
»Da lang«, sagte Gorrie und streckte den Arm aus.
»Nun, die Vögel sind ausgeflogen. Dann können wir ja nach Hause fahren.«
»Einfach so?« fragte Roper überrascht.
»Was erwarten Sie denn von mir?«
»Nun, als erstes könnten wir die Luftwaffe alarmieren.«
»Warum?«
»Die könnten sie doch zur Landung zwingen.«
Mitchell seufzte. »Immer dieses Geschwätz darüber, daß man Flugzeuge so einfach zur Landung zwingen kann. Und was ist, bitteschön, wenn sie sich weigern, zu landen?«
»Dann werden sie eben abgeschossen.«
»Dieser Vorschlag würde Lord Worth sicherlich begeistern. Schließlich sind seine Töchter an Bord.«
»Lord Worths Töchter!«
»Das kommt von dieser sturen Routinearbeit bei der Polizei«, seufzte Roomer. »Da trocknet das Gehirn ein. Was glauben Sie denn, wen dieser Hubschrauber abholen soll?«
Als sie außer Sichtweite des Hubschrauberplatzes waren, streckte Roomer einen Arm aus. »Da lang, hat der Mann gesagt. Und ›da lang‹ ist Nordwesten. Der Wyanee-Sumpf.«
»Auch wenn sie zuerst nach Südosten gestartet wären, wären sie schließlich zum Wyanee geflogen.« Mitchell hielt neben einer Telefonzelle. »Wie gut kannst du McGarritys Stimme nachmachen?« Roomer war ein ausgezeichneter Stimmenimitator.
»Die Stimme macht mir keine Sorgen – nur, ob ich seine Gedankengänge hinkriege … Ich werde es versuchen.« Nach zwei Minuten war er wieder im Wagen.
»Laut Campbells angegebenem Flugplan ist der Hubschrauber auf dem Weg zur Meerhexe .«
»Bist du was gefragt worden?«
»Nein. Ich sagte ihnen, daß irgendein Idiot einen Fehler gemacht hat, und jeder, der McGarrity kennt, wird wissen, wer mit dem Idioten gemeint war, der den Fehler gemacht hat.«
Mitchell ließ den Motor an, schaltete ihn jedoch sofort wieder aus, weil das Telefon klingelte. Er hob den Hörer ab.
»Hier ist Jim. Ich habe Sie schon ein paarmal zu erreichen versucht. Vor fünfzehn Minuten, und vor fünf Minuten nochmal.«
»Wir waren beide Male nicht im Wagen. Haben Sie noch mehr schlechte Nachrichten?«
»Nein – außer Sie halten es für eine schlechte Nachricht, daß Lord Worth in fünfzehn Minuten landet.«
»Wir fahren gleich los.«
»Es sieht übrigens so aus, als wolle er eine Weile wegfahren – er hat angeordnet, daß ein Koffer für eine Woche gepackt werden soll.«
»Sieben weiße Anzüge.« Mitchell legte auf.
»Es scheint, als müßten wir auch unser Köfferchen packen«, sagte Roomer. Mitchell nickte zustimmend, startete den Motor und fuhr los.
Als Lord Worth sich im Fond ihres Wagens zurechtsetzte, war er wieder ganz der alte – vielleicht nicht ganz so fröhlich, aber ruhig und, wie es schien, völlig entspannt. Er erzählte von seinem Erfolg in Washington, zu dem er angemessen beglückwünscht wurde. Dann berichtete ihm Roomer, was während seiner Abwesenheit vorgefallen war.
»Sie haben Commander Larsen natürlich über Ihre Vermutungen unterrichtet?«
»Keine Vermutungen«, korrigierte ihn Mitchell, »Gewißheiten. Und wir haben ihn natürlich nicht
Weitere Kostenlose Bücher