Die Meerhexe
selbst Ihre mörderischen Spitzbuben keine Chance gehabt. Wir spielten mit dem Gedanken, Sie bis zum Eintreffen der Armee festzuhalten – es war klar, daß der Hubschrauber nicht ohne Sie starten würde. Wenn Sie verhaftet worden wären, hätten bestimmt die meisten Strolche nichts Eiligeres zu tun gehabt, als alle Schuld auf Sie abzuwälzen. Wissen Sie, es stimmt wirklich – es gibt keinen Ehrenkodex unter Dieben.« Wenn Lord Worth etwas dagegen hatte, als Dieb kategorisiert zu werden, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. »Aber schließlich entschieden wir uns dann doch dagegen.«
»Und warum?«
»Sie geben also alles zu.« Mitchell seufzte. »Warum konnten Sie das nicht schon am Anfang tun – dann hätte ich mir den ganzen Vortrag sparen können.«
»Warum?« fragte Lord Worth noch einmal.
Es war Roomer, der antwortete: »Teils, weil wir, obwohl Sie ein geständiger Gesetzesbrecher sind, eine gewisse Achtung vor Ihnen haben, aber hauptsächlich, weil wir es Ihren Töchtern ersparen wollten, Sie hinter Gittern zu sehen. Rückblickend sind wir natürlich außerordentlich froh, daß wir uns so entschieden haben, denn im Vergleich mit der Entführung Ihrer Töchter verblassen Ihre gesetzeswidrigen Machenschaften zu einer verzeihlichen Sünde.«
Mitchell ließ den Wagen wieder an und sagte: »Allerdings ist es Ihnen hoffentlich klar, daß es in Zukunft keine solchen kleinen Sünden mehr geben wird. Und Sie werden uns auch keine Vorschriften mehr zu machen versuchen, ob wir auf eigene Faust handeln sollen oder nicht.«
Lord Worth lehnte sich in seinem Arbeitszimmer bequem in seinem Sessel zurück. Sein zweiter Brandy schmeckte genausogut wie der erste – es schien sein Tag für Brandys zu sein. Für den Rest der Fahrt hatte er geschwiegen. Sie war Gott sei Dank nur kurz gewesen, denn er hatte ein dringendes Bedürfnis nach einer Stärkung verspürt.
Er räusperte sich und sagte: »Ich nehme an, Sie wollen mit mir zur Bohrinsel hinaus?«
Mitchell betrachtete interessiert sein Glas. »Wir haben uns zwar noch nicht dazu geäußert, aber ich habe den Eindruck, daß sich irgend jemand um Sie und Ihre Töchter kümmern muß.«
Lord Worth runzelte die Stirn. Es wurde ihm klar, daß sich ihre Beziehung ziemlich auffällig verändert hatte. Vielleicht ließ sich das dadurch korrigieren, daß er die beiden engagierte.
Er sagte: »Ich habe das Gefühl, es ist Zeit, daß wir Ihre Arbeit für mich auch als solche behandeln. Ich schlage also vor, Ihre Dienste als Detektiv für mich in Anspruch zu nehmen, mit anderen Worten, Ihr Klient zu werden. Und ich werde nicht um das Honorar feilschen.« Er hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, als ihm auch schon klar wurde, daß er einen Fehler gemacht hatte.
»Man kann nicht alles mit Geld kaufen«, sagte Roomer mit sehr unterkühlter Stimme. »Vor allem aber nicht uns, Lord Worth. Sie wollen uns nur bezahlen, damit Sie befehlen können, was wir zu tun haben, aber da spielen wir nicht mit – unsere Freiheit bedeutet uns mehr. Und was Ihre Großzügigkeit in Hinsicht auf unser Honorar betrifft – die können Sie sich an den Hut stecken. Wie oft müssen wir das eigentlich noch erklären: wir nehmen kein Geld dafür, daß wir versuchen, Ihre Töchter zu retten.«
Mitchell nickte zustimmend. »Ich hätte es nicht besser formulieren können.«
Lord Worth begriff, daß die Veränderung ihrer Beziehung noch tiefgreifender war, als er gedacht hatte. »Ganz wie Sie wollen. Ich nehme an, Sie werden sich verkleiden?«
»Warum?« fragte Mitchell.
Lord Worth zeigte Anzeichen von Ungeduld: »Sie haben mir doch erzählt, daß Sie in einigen der Leute, die an Bord des Hubschraubers gingen, ehemalige Sträflinge erkannt haben – die würden Sie doch ganz sicher auch erkennen, wenn sie Sie sähen.«
»Wir haben noch keinen der Männer jemals zuvor gesehen.«
Lord Worths Reaktion war voll zufriedenstellend. Völlig fassungslos stotterte er: »Aber Sie haben mir doch …«
»Sie haben uns faustdicke Lügen aufgetischt – was ist dagegen schon so eine kleine Schwindelei? Wir gehen als Ihre technischen Berater an Bord. Ob als Geologen oder Seismologen ist uns egal – wir verstehen von beiden Gebieten nichts. Wir brauchen lediglich ein paar gutgeschnittene Straßenanzüge, Panamahüte, Hornbrillen mit Fensterglas – wegen des gelehrten Aussehens – und Aktenkoffer.« Er machte eine kurze Pause und ergänzte: »Und dann brauchen wir noch einen Arzt mit einem
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