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Die Meister der Am'churi (German Edition)

Die Meister der Am'churi (German Edition)

Titel: Die Meister der Am'churi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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ihr geschlafen“, flüsterte er, betete dabei darum, dass Lynea weit genug entfernt saß.
    „Vielleicht hättest du es besser getan“, murmelte Ni’yo. Ihm fielen die Augen zu, er konnte sich sichtlich kaum noch wach halten.
    „Was meinst du damit? Ich will sie nicht, ich will nur …“ Jivvin brach ab, als er erkannte, dass Ni’yo ihn nicht mehr hören konnte. „Ich will doch nur dich, dich allein“, wisperte er, küsste ihm die Stirn und zog ihn an sich. Wenn schon nicht im wachen Zustand, dann sollte Ni’yo wenigstens im Schlaf spüren, dass eigentlich alles in Ordnung war. Bevor er selbst einschlief, schickte er ein stummes Gebet an Am’chur: Gib mir die Kraft, ihn zu halten, ich kann und will ihn nicht verlieren!
    Der Zornige Gott antwortete nicht, aber sein Schweigen wirkte eher beruhigend. Die Vorstellung, dass Am’chur ihm diese Gnade verweigern könnte, war schlimmer als ungewisse Hoffnung.

5.
     
    Am späten Nachmittag erreichten sie den Tempel. Jivvin sah genauso traurig aus wie Ni’yo sich fühlte beim Anblick des so vertrauten goldenen Tors, bewacht von einer riesigen Drachenstatue . Er seufzte laut, als auf ihr Klopfen die ebenso vertraute Losung zu hören war: „Wer begehrt Einlass im Tempel des Am’chur?“
    Nie hätte er sich träumen lassen, wie sehr er all dies vermissen könnte! Es war vielleicht kein behaglicher Ort, an dem er willkommen gewesen wäre, doch er hatte den größten Teil seines Lebens hier verbracht. Jivvin nannte der Reihe nach ihre Namen und Absichten. Ni’yo dachte an die Legende, dass glühende Lava aus dem Maul des Drachen fließen würde, sollte man auf die rituelle Frage mit einer Lüge antworten und verkniff sich ein Lächeln. Er hatte Dutzende Novizen beobachtet, die sich nachts hinausgeschlichen hatten, um genau das zu erproben. Kein einziger hatte es je über sich gebracht, absichtlich zu lügen.
    Da er nie einen Freund besessen hatte, der mit ihm nachts durch den Tempelhof schleichen und das Klopfritual ausführen wollte, war es für ihn unmöglich gewesen, es selbst einmal zu versuchen. Ni’yo drängte die Erinnerung entschlossen fort. Er hatte mit seiner Vergangenheit Frieden geschlossen, trotzdem dachte er nicht gerne daran zurück.
    Lyneas Rudel war größtenteils draußen in den Wäldern geblieben, lediglich ein junger Mann begleitete sie mittlerweile. Er wirkte zornig, aber nicht unbedingt, als hätte ihn jemand provoziert, sondern als sei dies seine grundsätzliche Stimmung. Durch sein langes schwarzes Haar zogen sich graue und weiße Strähnen, seine Augen besaßen denselben Bernsteinschimmer wie Lyneas. Er hielt sich in beschützender Haltung zu ihr, obwohl sie so offensichtlich keinerlei Schutz benötigte. Lynea stellte ihn als ihren engsten Vertrauten vor, was Brynn – so lautete sein Name – noch zorniger dreinblicken ließ.
    Vielleicht ist dies seine Art, Stolz zu zeigen? Oder wäre er gerne mehr als nur ein Vertrauter?, dachte Ni’yo, kümmerte sich allerdings nicht weiter darum. Er hatte genug mit all der Aufmerksamkeit zu tun, die auf ihm und Jivvin ruhten. Wie aus dem Boden gewachsen standen plötzlich sämtliche Meister und Novizen des Tempels im Hof, als hätten sie bloß auf ihre Ankunft gewartet. Während Jivvin von allen Seiten begrüßt und in Gespräche verwickelt wurde, begegnete man ihm mit mehr oder weniger unverhohlener Abscheu und Hohn. Nicht nur er wurde allerdings angestarrt, auch die beiden Wolfswandler, die in ihrer menschlichen Gestalt nackt einherschritten, zogen eine Menge Interesse auf sich. Orophin, der zweithöchste Großmeister des Tempels, händigte ihnen schwarze Umhänge aus. Lynea verhüllte ihre Blöße mit einem Lächeln, Brynn hingegen sah man seine Missbilligung deutlich an. Doch er schwieg und gehorchte, als Lynea ihn finster anblickte.
    „Jivvin, wenn du und Ni’yo vielleicht hier warten würdet?“, fragte Orophin auf seine langsame, bedächtige Art. Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass dies weder freundlich noch als Frage gemeint war. Ni’yo verbarg seinen Kummer über diese Zurückweisung. Orophin hatte immer zu den wenigen gehört, die ihm ohne offene Furcht oder Verachtung begegnet waren.
    Vielleicht hält er mich für einen Schwächling, jetzt, wo ich nicht mehr als Bedrohung wirke?
    Ni’yo war kleiner als nahezu alle anderen Am’churi, dazu leicht und feingliedrig gebaut. Egal wie stark seine Muskeln waren, man sah es ihm nicht an. Auch nach mehreren Monaten hatte er sich nicht

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