Die Meister der Am'churi (German Edition)
daran gewöhnen können, dass nun nicht mehr alle Welt vor ihm verängstigt oder hasserfüllt zurückzuckte, sobald er nur den Blick hob. Diese starke äußere Veränderung, er konnte sie weder selbst erkennen noch begreifen, wo er sich innerlich doch genauso fühlte wie zuvor – abgesehen von der Hoffnung, die Jivvins Liebe ihm schenkte, und die Angst, sie zu verlieren. Sie hatten noch immer kein Wort miteinander gewechselt. Aber nachdem Ni’yo in Jivvins Armen aufgewacht war und er deutlich spürte, dass sein Liebster die Nähe zu ihm suchte, Lynea hingegen mied, war er sich sicher, weiter bei ihm bleiben zu dürfen. Wie er sich jetzt verhalten sollte, wusste Ni’yo allerdings nicht. Sie hatten sich nicht gestritten, wer also war zuständig für den ersten Schritt? Beziehungen waren so kompliziert … Er wollte nichts falsch machen, darum wartete er lieber, bis Jivvin ihm ein deutliches Zeichen sandte.
Lynea und Brynn folgten derweil Orophin durch das goldene Tor in das Tempelheiligtum.
„Nun, wieder daheim?“
Ni’yo spürte, wie Jivvin beim Klang dieser Stimme zusammenfuhr. Lurez baute sich vor ihnen auf, einer von Jivvins ältesten Freunden hier im Tempel. Er wischte sich ungeduldig blonde Haarsträhnen aus dem Gesicht und musterte sie beide abschätzig.
„Lange nicht gesehen“, murmelte Jivvin lahm. Er wirkte schuldbewusst, was Ni’yo mehr schmerzte, als er sich selbst eingestehen wollte.
Was er für mich aufgeben musste – das hat er nicht verdient. Ich habe ihn nicht verdient.
Jivvin schwankte zwischen dem Wunsch, Lurez zusammenzuschlagen und dem Verlangen, ihn wie früher brüderlich zu umarmen. Er hatte ihn vermisst, doch er ahnte das Unheil, das gleich folgen würde. Lurez war jemand, der sich nicht leicht reizen ließ und niemals etwas nachtrug. War sein Zorn allerdings geweckt, konnte er sich selbst vergessen und es sah ganz danach aus, als wäre er wirklich sehr zornig …
Lurez verschränkte die Arme vor der Brust, stellte sich scheinbar gelassen breitbeinig hin, mit einem Blick, der zeigte, dass er Streit suchte.
„Neunzehn Jahre lang hast du mir Tag und Nacht in den Ohren gelegen, wie sehr du ihn hasst, wie gerne du ihn besiegen und töten willst, wie viel schöner die Welt wäre, wenn diese Ratte nicht auf ihr herumlaufen würde! Neunzehn Jahre lang hast du dich ununterbrochen im Kampf weiterentwickelt, mir vorgejammert, dass es nie ausreicht, dass er immer besser sein wird als du. Und nun?“ Er schnaubte verächtlich.
Jivvin ballte die Fäuste, es kostete ihn all seine Selbstbeherrschung, seinen einst besten Freund nicht anzugreifen.
„Sag“, fuhr Lurez mit höhnischer Stimme fort, „wie ist er jetzt? Er sieht ja ziemlich weich aus mittlerweile, nicht mehr so gefährlich … Hast du ihm die Bösartigkeit aus dem Leib gefickt?“
Grollend vor Wut trat Jivvin ganz dicht an ihn heran. Lurez hob im Reflex die Hände, nahm dann rasch wieder eine betont lässige Haltung ein und grinste Jivvin breit ins Gesicht.
„Sei vorsichtig“, knurrte Jivvin drohend, „sonst fordere ich dich zum Ehrenduell, und du solltest nicht darauf bauen, dass ich dich anschließend am Leben lasse!“
Lurez blinzelte hektisch, verriet aber sonst mit keinem Zeichen, wie ernst er diese Drohung nahm. Jeder wusste, dass Jivvin ihm weit überlegen war.
„Ich denke nicht, dass ich verpflichtet bin, ein Ehrenduell mit dir überhaupt anzunehmen. Du hast den Tempel verlassen, auch wenn du dich immer noch Am’churi schimpfst. Außerdem stünde der Sieger jetzt schon fest – oder solltest du in den vergangenen sechs Monaten das Bett lange genug verlassen haben, um mal am Schwert üben zu können?“
Um ein Haar wäre Jivvin aus der Haut gefahren, er konnte regelrecht spüren, wie er seinem Freund an die Kehle sprang und auf ihn einschlug, bis dieses höhnische Grinsen für alle Zeit getilgt wäre … Doch da schloss sich eine Hand um seinen Arm und zog ihn einen Schritt zurück.
Ni’yo sah – wenn man ihn kannte und diesen Blick zu deuten wusste – selbst wütend genug aus, um Lurez bei lebendigem Leib zu häuten, sein Gesicht war so finster wie zu seinen schlimmsten Zeiten. Lurez wurde bleich; dennoch blieb er trotzig stehen und musterte nun Ni’yo von oben bis unten mit blitzenden grünen Augen, mit einem spöttischen Lächeln in den Mundwinkeln, das seine Angst allerdings nicht verbarg.
„Da ist sie ja, unsere Tempelschönheit. Wie ihr euch die Zeit vertreibt, ist wohl offensichtlich, so
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