Die Meister der Am'churi (German Edition)
gestoppt, es schien nicht lebensbedrohlich viel geflossen zu sein. So hässlich die Wunde im Moment auch aussah, in zwei bis drei Wochen würde sie verschwunden sein, und schon lange vorher musste er Ni’yo davon abhalten, sich zu überlasten. Seufzend ließ er das nun rot verfärbte nasse Hemd fallen, blickte missbilligend auf all das Blut an seinen Händen, Armen und Kleidung und stapfte schließlich ins Haus, um Bandagen zu holen.
„Immer dasselbe mit diesem Mann“, schimpfte er lächelnd vor sich hin, während er sich selbst und Ni’yo wusch, ihm dann routiniert einen Verband anlegte und den linken Arm in eine feste Schlinge an den Körper band. Um die Wundheilung nicht zu stören, ließ er ihn trotz der Kälte dort liegen, deckte ihn lediglich zu, setzte sich hin und hielt geduldig Wache an seiner Seite. Während er ihre beiden Chi’as reinigte, blickte er immer wieder prüfend in das blasse Gesicht seines Liebsten, um sich zu vergewissern, dass es ihm gut ging. Er mochte es, sich um ihn zu kümmern, wenn sein gewöhnlich so starker Gefährte schwach und hilflos war. Sie hätten wohl nie ihren Hass überwinden können, wenn es anders gewesen wäre. Hätten die Schattenelfen ihn nicht so schwer verletzt, dass Jivvin seinen lebenslangen Feind tagelang versorgen musste … Er lächelte verträumt, strich ihm einige der schwarzen Strähnen aus der Stirn, für die ihn diese abergläubischen Bauern fürchteten. Auch Jivvin mit seinen hellbraunen Haaren und Augen wurde schon misstrauisch gemustert, doch noch akzeptiert.
Wie kann man dir nur begreiflich machen, dass du nicht immer den Weg des größten Widerstandes gehen musst? Dass man nicht jeden Kampf gewinnen muss, egal wie hoch der Preis ist, dachte er, und küsste ihn zärtlich auf die Schläfe. Ein Lächeln huschte über die friedlich entspannten Züge. Es war müßig, sich solche Fragen zu stellen, Jivvin kannte die Antwort. Von jung an war Ni’yo mit Folter und Tod bedroht worden, sobald er das geringste Zeichen von Schwäche zeigte – auch von Jivvin. Eine Aura von Gefahr hatte ihn umgeben, die Großmeister Leruam stets als „Schatten der Elfen“ bezeichnete, ohne erklären zu können, was dies wirklich bedeutete. Es war angeblich eine Kraft, die Ni’yo zur gefährlichsten Kreatur der gesamten Welt gemacht hätte, wenn er sich je hätte entschließen können, sie zu nutzen. Dieser Schatten war es, der Ni’yo zu einem Leben als Verstoßener verdammt hatte, einsam, gehasst und gefürchtet von allen, und nur Jivvin, der ihm als Einziger – beinahe – gewachsen war, hatte überhaupt mit ihm gesprochen. Indem sich Ni’yo von der Einsamkeit abgewandt und Jivvin mit Leib und Seele geöffnet hatte, war die bedrohliche Ausstrahlung verschwunden.
Es gab nun nichts mehr, was ihre Waffenbrüder an ihm fürchten mussten. Aber auch keinen Grund, neunzehn Jahre Hass zu vergessen. Jivvin wollte sich nicht dem Spott und Unverständnis seiner Freunde und Waffenbrüder stellen, die seinen Wandel, seine Liebe zu einem – diesem! Mann – nicht begreifen konnten; und Ni’yo kostete es so viel Kraft, sich Jivvin zu öffnen, dass er sich mit den anderen Am’churi nicht auseinandersetzen konnte.
Jivvin erwog kurz, ob er Ni’yo nicht lieber in die Hütte bringen sollte, der Boden wurde auch für ihn zu kühl und unangenehm feucht. Doch die Gefahr, die Heilung zu stören, schien ihm gewichtiger als die Unannehmlichkeit durch Kälte, darum ließ er ihn dort und wartete.
Nach etwa zwei Stunden kam Ni’yo leise stöhnend wieder zu sich.
„Ausgeschlafen?“, neckte Jivvin ihn und grinste über den finsteren Blick, den er dafür erntete. Dann aber wurde er ernst. „Wie konnte das überhaupt geschehen? Du warst einen Moment lang völlig erstarrt.“
Ni’yo setzte sich hoch und lehnte sich gegen den Baumstamm. Noch immer war er bleich wie frisch gefallener Schnee, gleichwohl bewegte er sich, als wäre die Verletzung nichts als ein Kratzer.
„Ich … da war eine Stimme“, erwiderte er zögernd. „In meinen Gedanken. Sie flüsterte meinen Namen.“
„Am’chur?“, fragte Jivvin sofort. Es war nicht ungewöhnlich, dass der Drachengott zu seinen Auserwählten sprach.
Doch Ni’yo schüttelte nachdenklich den Kopf. „Nein, es war eine Frau, da bin ich mir sicher. Eine Göttin vielleicht? Es könnte Muria gewesen sein, aber was könnte sie von mir wollen?“
„Ich hoffe, du findest es schnell heraus“, sagte Jivvin langsam und betont. „Ich muss mich
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