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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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dachte, spürte sie ein belebendes Prickeln auf ihrer Haut. Ihr Traum, eine richtige Gazettenschreiberin zu werden, war durch das Vertrauen, das Carolus in ihre Fähigkeiten setzte, in greifbare Nähe gerückt. Sie nahm sich fest vor, Carolus nicht zu enttäuschen. Schon heute Abend sollte der Drucker ihre Aufzeichnungen in seiner Kammer finden. Gut gelaunt ließ sie sich den Eintopf schmecken, den de Brys Köchin ihr vorsetzte, und machte sich dann gemeinsam mit David auf den Weg zur Buchgasse. Wie gewöhnlich war der junge Mann schweigsam und nur schwer zu bewegen, Henrikas aufgeregte Fragen zu beantworten.
    Gleich hinter der Leonhardspforte hatte Carolus einen schattigen Winkel gemietet, wo er seine Bücher und auch einige Exemplare der Gazette ausstellen wollte. Henrika fand die Wahl des Standorts ausgezeichnet, denn unweit der Pforte befand sich eine Kirche, vor der Büchertische, Bretterbuden und farbenfrohe Zelte mit flatternden Wimpeln aufgebaut worden waren. Auch der schmale Durchgang zum Markt wurde von zahlreichen Ausstellern umlagert. Auf ihrer Straßenseite herrschte zwar kein so großes Gedränge, dafür gab es vor den Häusern schattenspendende Bäume und Treppen, deren Stufen gegen ein kleines Entgelt ebenfalls mit Büchern ausgelegt werden konnten.
    Während Henrika David beim Entladen des Karrens zur Hand ging, erzählte ihr der junge Drucker, dass Carolus die Tische direkt bei der Kirche ganz bewusst mied. Obwohl Laurenz gern einen größeren Stand aufgeschlagen hätte, lag dem Meister mehr daran, dem Streit mit den Nürnbergern, Augsburgern und Kölnern aus dem Weg gehen, die während der Messe oftmals lautstark aneinandergerieten, weil ihre Buden so dicht nebeneinanderstanden.
    Henrika ließ ihren Blick über die belebte Gasse schweifen. Eine riesige Bibliothek unter freiem Himmel, war ihr erster Gedanke. In ihrem ganzen Leben hatte sie nicht so viele Bücher, Druckschriften und Pamphlete an einem Ort gesehen. Nichts, was sie aus Straßburg kannte, ließ sich damit vergleichen. Am liebsten wäre sie sogleich von Stand zu Stand gelaufen, um sich alles anzuschauen, aber sie konnte David nicht im Stich lassen, der den Stand aufbaute.
    «Wo steckt eigentlich Laurenz?» Rasch eilte sie David zu Hilfe, der gerade eine schwere Kiste mit Büchern vom Karren hob und vor lauter Anstrengung schon gerötete Wangen hatte. «Ich habe ihn seit gestern nicht mehr gesehen.»
    «Keine Ahnung», sagte David. «Gestern war ich so müde, dass ich gleich nach dem Abendbrot eingeschlafen bin. Laurenz muss vor mir aufgestanden sein, denn er war nicht mehr in der Kammer, als ich aufgewacht bin.»
    Henrika machte ein bekümmertes Gesicht; David verschwieg ihr etwas, das konnte sie von seinen Augen ablesen. Sie war sich im Klaren darüber, wie sehr David an seinem älteren Bruder hing, doch war es richtig, dass er diesen immerzu in Schutz nahm? Meister Carolus war bestimmt nicht damit einverstanden, dass Laurenz sie die ganze Arbeit auf der Messe allein machen ließ. Andererseits durfte sie nicht vergessen, dass Laurenz nun ebenfalls zu den Meistern der schwarzen Kunst gehörte. Als Zunftmeister war er niemandem Rechenschaft schuldig und durfte die Handreichungen eines Gesellen oder eines Knechts nicht mehr ausführen.
    Die plötzlich einsetzende Musik und der Trubel um sie herum rissen Henrika aus ihren Gedanken. Waren bislang nur wenige Schaulustige durch die Buchgasse geschlendert, so strömten nun ganze Scharen von Menschen durch die Pforte, als hätte jemand unbemerkt ein Kommando gegeben. Einige kamen aus der Kirche, wo die Gläubigen für einen günstigen Verlauf der Messe gebetet hatten. In Gruppen oder einzeln zogen sie von Stand zu Stand, wo sie jeweils einige Minuten verweilten, um sich die Bücher anzusehen oder mit den Meistern und Gesellen zu plaudern. Wohin man blickte, sah man stolze Gesichter.
    Aufgeregt ordnete Henrika die Bücher auf dem Tisch, den ihr Gastgeber de Bry den Straßburger Druckern freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. Unsicher stapelte sie viel zu viele Bücher darauf, bis David ihr mit ruhiger Stimme erklärte, dass sie somit den Interessenten die Sicht auf die zweite und dritte Reihe nähme. Rasch räumte sie einige der schweren Folianten ab und legte sie zurück in den Karren.
    «Ich fürchte, mit unseren Büchern werden wir in diesem Jahr kaum jemanden begeistern», sagte David, während er ein paar hübsche Holzschnitte am Geländer des Treppenaufgangs befestigte. «Die

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