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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Schelde und war von starken Befestigungen aus dunklem Stein umgeben. In den Schießscharten des Mauerwerks und zwischen den wie Stacheln aufragenden Zinnen der Türme wuchsen Gras und Strauchwerk. Ein breiter Graben mit schmutzigem braunem Wasser umschlang den Mauerring wie ein straff geschnürter Gürtel. In der Ferne waren Kirchtürme zu sehen, aus deren Fenstern lange Fahnenstangen ragten.
    Auf den Wehrgängen hoch über der Stadt patrouillierte etwa ein Dutzend Männer, bewaffnet mit Hellebarden und Musketen, doch alarmbereit wirkten sie trotz ihrer kriegerischen Aufmachung nicht.
    Im Osten Flanderns hatte es schon lange keine Kämpfe mehr gegeben. Zuweilen kam zwar ein Tross spanischer Artillerie auf dem Weg nach Gent an der Stadt vorbei, doch seit Herzog Albrecht das Amt des Statthalters ausübte, hatte es keine nennenswerten Zwischenfälle gegeben. Eine einzige Kanone thronte als Warnung und zur Abschreckung vor Angriffen hoch oben auf dem größten Wehrturm, doch ihre Mündung war auf den blauen Himmel gerichtet, nicht auf die Straße.
    Der Stadtwächter nickte artig, als Henrika das Gefährt mit der müden Schindmähre durch das Torgewölbe in die Stadt lenkte.
    Da David schlief und Henrika ihn nicht wecken wollte, fühlte sich der Wächter ermutigt, ein wenig mit ihr zu plaudern. Sie schien dem jungen Mann zu gefallen, was sie ihrer neuen Kleidung zuschrieb. David hatte in einem Marktflecken, durch den sie gezogen waren, tief in seine Börse gegriffen, um Henrika neu einzukleiden. Sie hatte sich zunächst dagegen gesträubt, dass er so viel Geld für sie ausgab, doch der junge Mann hatte darauf bestanden. Sie sollte Oudenaarde nicht wie eine Vagabundin betreten müssen. So trug sie nun einen Schnürrock aus kirschrotem Tuch, der mit winzigen weißen Rosen aus geklöppelter Spitze bestickt war. Dazu eine Bluse mit bauschigen Ärmeln und einen Leinenschleier. Das Mieder war ausgepolstert und mit Fischbein versteift.
    Zu Henrikas Bedauern konnte der Wächter ihr nicht sagen, ob es in der Stadt einen Mann namens Quinten Marx gab, denn er kam von einem entlegenen Bauernhof und verrichtete den Dienst am Stadttor von Oudenaarde erst seit wenigen Wochen. Daher empfahl er ihr, zum Rathaus zu gehen, das direkt am Marktplatz lag und schwerlich zu übersehen war. Dort würde man ihr gewiss weiterhelfen können.
    Es war bereits dunkel, als sie vor dem Rathaus ankamen. Die Tür war verschlossen, und auf Henrikas Rufen antwortete niemand. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Nacht in einem Gasthof zu verbringen, der mit einem besonders schmackhaften Wein aus dem Herzogtum Burgund warb. Die Wirtin empfing sie herzlich und konnte ihnen sogar weiterhelfen.
    «Gewiss kenne ich die Familie Marx», sagte sie, während sie David und Henrika zwei Schüsseln mit dampfendem Hammeleintopf vorsetzte. Im hinteren Teil des Schankraums polterte es; ein kleines Mädchen heulte erschrocken auf.
    «Ein älterer Herr, der mit seiner Schwester im Goedmeesterhuis wohnt. Sie gehören zur Gilde der Verdürenmacher.»
    «Was sind Verdürenmacher?» Henrika kostete von dem Eintopf. Es war heiß und stark gewürzt, schmeckte aber köstlich.
    David wusste es. «Sie stellen große Wandbehänge her, nicht wahr? Hauptsächlich in Blau- und Grüntönen. Verdüren sind im ganzen Reich begehrt, aber es gibt nur wenige Meister, die sich auf diese besondere Webkunst verstehen.»
    «Ganz recht, junger Herr», bestätigte die Wirtin erfreut. «Marx van Oudenaarde ist für seine kostbaren Behänge weit über die Grenzen unseres Städtchens hinaus bekannt geworden. Die Tapisserien kosten ein Vermögen. Erzherzog Albrecht, der Statthalter des Königs, schmückt seine Gemächer in Brüssel mit ihnen, und der halbe Adel von Flandern und Brabant folgt seinem Beispiel. Aber auch nach Prag und nach Straßburg, ja, bis ins ferne Fürstentum der Pfalz werden die edlen Stücke verkauft. In Heidelberg residiert nämlich eine Niederländerin, die sich mit Hilfe der Verdüren an ihre Heimat erinnern möchte. Eine Tochter des Prinzen von Oranien, soweit ich weiß.»
    Oudenaarde. Straßburg. Heidelberg.
    Henrika legte den Löffel aus der Hand und versuchte, sich an das Prunkgemach zu erinnern, in dem Zorn sie empfangen hatte. Waren ihr dort nicht auch Wandbehänge aufgefallen? Nach dem, was die Wirtin sagte, reiste der Flame kreuz und quer durch Europa. Was aber verband ihn mit Zorn und Barthel? Oder mit ihr selbst?
    Die Gastwirtin beschrieb ihnen den Weg zu dem

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