Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
im nächsten Moment wichen die Dorfbewohner von der Waage zurück. Die beiden Mönche aus Averbode rafften ihre Kutten und stürzten die Treppe zur Dorfkirche empor, als würden sie von Scharen geflügelter Dämonen verfolgt.
    Henrika hielt noch immer das Gleichgewicht; sie blickte zu dem Mäuerchen mit der schmalen Pforte, die hinaus aus dem Dorf auf die Felder führte. Am Horizont waren schwache helle Punkte zu erkennen, die vermutlich von Lagerfeuern herrührten.
    Das Lager der spanischen Soldaten, ging es ihr durch den Kopf. Dorthin würde man sie bringen, falls …
    Die Menge hielt den Atem an, als der Wägmeister die beiden Bretter ausbalancierte und die Abstände mit einem verknoteten Seil maß. Die dulle Griet befand sich nun fast auf gleicher Höhe mit Henrika, die sich mit aller Kraft an den beiden Halteseilen festklammerte, um nicht zu straucheln. Dann, nach quälenden Momenten, gab ihr Brett etwas nach und bewegte sich abwärts.
    «Die Fremde ist schwerer als das Teufelsholz», verkündete der Wägmeister in mürrischem Ton. «Nicht viel, aber ein oder zwei Pfund dürften es sein.»
    Enttäuschtes Gemurmel war zu hören. Die freundlichen Menschen, die Henrika noch eine Stunde zuvor auf dem Tanzboden gedreht, mit ihr gelacht und gescherzt hatten, blickten nun betreten zu Boden. Die Ersten machten sich bereits davon. Für sie war der Spaß vorüber.
    «Ihr bekommt noch Eure Urkunde, Jungfer», rief der Büttel Henrika nach, die von der Waage sprang und sich suchend nach David umschaute.
    «Die könnt Ihr behalten. Steckt sie Euch an den Hut!»
    «Nehmt sie besser an», empfahl der alte van Sneek. «Sie ist in Flämisch, Latein und Spanisch abgefasst und könnte Euch nützlich sein, falls Ihr vorhabt, länger durch die südlichen Provinzen zu reisen.»
    Henrikas Herz klopfte bis zum Hals, als sie die Pergamentrolle entgegennahm. Wie bei allen Heiligen hatte sie die Wiegeprobe bestehen können? Einen Herzschlag lang hatte sie der dullen Griet in die Augen geblickt, also mussten sie einander doch die Waage gehalten haben. Dann aber war sie ohne ersichtlichen Grund abgesunken, als hätte das leblose Schnitzbild entschieden, sie zu schonen, anstatt sie dem Verderben preiszugeben.
    David kam auf sie zugelaufen. Sein Kinn zitterte vor Erleichterung, als er sie in die Arme schloss und ihr einen Kuss auf die Lippen drückte.
    «Ich habe gewusst, dass du es schaffst», raunte er ihr mit einem verschmitzten Grinsen zu, während er Henrika zur Herberge begleitete. «Du bist zwar ein bisschen verrückt, aber längst nicht so wie diese Bluttöchter, die nur in der Phantasie abergläubischer flämischer Bauern existieren.»
    Henrika seufzte. War dem wirklich so? Woher war aber das sonderbare Gelächter gekommen, das die Mönche so erschreckt hatte? Sie hatten es so deutlich gehört, wie Henrika David hörte.
    «Gibst du mir meinen Beutel wieder?», fragte er.
    Henrika hob die Augenbraue. «Von welchem Beutel sprichst du?»
    «Na, von dem Beutel mit meiner Barschaft. Ich habe ihn dir zugesteckt, damit du ein wenig zusätzliches Gewicht auf die Waage bringst. Du bist ja ohnehin nur Haut und Knochen, da dachte ich … Jedenfalls hat keiner dieser Einfaltspinsel bemerkt, dass es zwischen den Falten deines Rockes ganz schön geklimpert hat. Offensichtlich nicht einmal du selbst.»
     

20. Kapitel
    Schon wieder ein Fluss, war Henrikas erster Gedanke, als sie zwei Tage später die Schelde erreichten.
    Sie war müde, ihr Nacken schmerzte, und sie sehnte sich nach dem Gasthaus, vor allem aber nach dem sauberen Bett zurück, in dem sie die vergangene Nacht verbracht hatte. An den Namen des Dorfes konnte sie sich schon nicht mehr erinnern, wohl aber an das hübsche Wasserschloss ganz in seiner Nähe. Ob es in Oudenaarde auch ein Schloss wie dieses gab?
    David lenkte das Fuhrwerk, das er mitsamt Gespann von van Sneek gemietet hatte, die Straße hinunter, an deren Ende ein mächtiges Brückentor aus grauem Stein zu sehen war. Um nach Oudenaarde zu gelangen, so hatte ein Bauer ihnen unterwegs erklärt, war es nötig, an dieser Stelle den Fluss zu überqueren.
    Versonnen blickte Henrika dem Tor mit seinem Wachhäuschen entgegen, während David seine Börse zückte, um einige Münzen für den Wegezoll abzuzählen. Dabei musste sie an van Sneek denken. Der Alte hatte sich geweigert, Geld für den Wagen und das Pferd anzunehmen, doch David hatte darauf bestanden, ihn zu bezahlen. Keinesfalls wollte er in der Schuld des Herbergswirts

Weitere Kostenlose Bücher