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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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zurückhalten konnte, verließ er die Kammer und polterte die Treppe zur Schankstube hinunter.

    Katharine Marx lag auf ihrem Bett und lauschte dem Wind, der an Fensterläden und Dachziegeln rüttelte.
    Als Kind hatte sie das Bett mit Maria geteilt, der großen Schwester, die sie wie keinen anderen Menschen bewundert hatte und die zu ihrem Bedauern allzu früh aus ihrem Leben verschwunden war. Eine Flut von Erinnerungen suchte sie heim. Schöne, aber auch solche, die sie traurig stimmten. Sie dachte an heiße Sommertage zurück, welche die Geschwister mit fröhlichen Spielen auf dem Landsitz am See verbracht hatten, dann aber kamen die Erinnerungen an düstere, mondlose Nächte, in denen die unheimlichen Frauen an ihre Tür geklopft hatten, um Maria abzuholen. Katharine hatte sich vor der wilden Schar gefürchtet und nur ein einziges Mal gewagt, heimlich und mit pochendem Herzen aus dem Fenster zu spähen, um ihre Anführerin zu sehen. Die Kommandantin. Die Frau, über die damals in ganz Flandern geredet worden war.
    Doch das lag schon viele Jahre zurück. Die Frauen, die von den Spaniern oder der Inquisition erwischt worden waren, hatten für ihren Widerstand schwer gebüßt: in Folterkellern und auf brennenden Scheiterhaufen, in allen Teilen Flanderns. Allein das Weib, das sie dulle Griet genannt hatten, war nie gefasst worden.
    Katharine blickte zu den schwarzen Balken der Zimmerdecke hinauf und stellte sich vor, wie es wohl wäre, wenn das alte Haus an der Schelde wieder zum Leben erwachte. Wenn Frauenstimmen außer der ihren und der ihrer Magd durch die Räume hallten. Oder gar fröhliches Kindergelächter? Quinten und sie hatten sich nicht vermählt, aber Henrika war noch jung, und der Bursche, der sie begleitete, schien ihr sehr zugetan zu sein.
    Sie sah hinüber zu der Kerze, die sie auf den Tisch vor ihrem Wandschirm gestellt hatte. Ein kalter Lufthauch ließ die Flamme erzittern. Auf dem Korridor vor ihrer Schlafkammer knarrte der Boden. Ob die alte Toetja auch nicht schlafen konnte? Oder war Quinten nach Hause gekommen?
    Katharine erhob sich, obwohl ihr nicht danach zumute war, jetzt noch aufzustehen. Mit einem geübten Handgriff glättete sie ihr Haar, das nach einem Fieber vor fünf Jahren dünn geworden war, und warf sich das Gebende über. Sie ergriff die Kerze und verließ die Kammer.
    Wieder spürte sie den kalten Luftzug an den Beinen.
    Hatte sie versäumt, die Tür zum Garten zu verriegeln? Sie wurde alt. Vergesslich. Quinten würde sie für ihre Nachlässigkeit schelten, denn nebenan, in der Weberei, lagerten zahlreiche Ballen wertvollsten Brokats. Eine Einladung für jeden Dieb.
    Hastig stieg sie die Treppe hinunter. Den Schatten, der plötzlich wie eine Wand hinter ihr aufragte und ihr einen heftigen Stoß zwischen die Schulterblätter versetzte, sah sie erst, als sie mit dem Fuß einknickte. Mit einem Schmerzensschrei ließ sie die Kerze fallen, die vor ihr die Treppe hinunterrollte.
    Als Katharine Marx wieder zu sich kam, saß sie am Tisch des Wohngemachs. Es war dunkel; ihr Kopf schmerzte, und Blut lief ihr in die Augen, sodass sie kaum etwas sehen konnte. Sie musste sich bei ihrem Sturz eine Platzwunde an der Stirn zugezogen haben. «Quinten?», sagte sie schwach. «Bist du es, Bruder? Ich brauche Hilfe.»
    Als die Benommenheit langsam nachließ, sah sie, dass vor ihr auf dem Tisch Papier und Schreibzeug lagen, was sie verwunderte, da die Tafel nie als Schreibtisch genutzt wurde. Dann fuhr sie zusammen, weil sie einen Laut hörte. Er kam unten aus der Diele und klang nach Toetja.
    Einer sterbenden Toetja.
    Wenige Augenblicke später sah Katharine, wie die schattenhafte Gestalt, die sie auf der Treppe zu Fall gebracht hatte, geräuschlos in den Raum schwebte. Sie näherte sich ihr mit winzigen Schritten, bis sie direkt neben Katharines Stuhl stehen blieb.
    «Und nun, meine Beste», flüsterte der Schatten, «werdet Ihr mir gut zuhören und niederschreiben, was ich Euch diktiere!»

    Als Henrika am nächsten Morgen erwachte, war David noch immer nicht zurück. Benommen schlüpfte sie in ihre Kleider, band ihre Haare zurück und wusch dann Stirn und Wangen mit kaltem Wasser.
    Eine Stunde später erschien ein Botenjunge im Gasthaus, der ihr eine Nachricht von Katharine Marx überbrachte. In gestelzter, altmodischer Schrift teilte sie ihr mit, dass seine Geschäfte ihren Onkel wohl länger als erwartet auf dem Hofgut an der Schelde aufhalten würden, das die Familie verwaltete. Sie beschrieb ihr

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