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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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den Schöffen des Dorfes erwartete. Ein Vertrag, abgefasst von einem Notar, dem Ortsgeistlichen und einem unabhängigen Zeugen, und gesiegelt von drei Beamten der kurfürstlichen Kanzlei, sollte die Höhe der Entschädigung festlegen, die dem Ort als Gegenleistung für seine Äcker, Weingärten und Wiesen ausgezahlt würde. Dem Schultheiß kam die Pflicht zu, für die Einhaltung sämtlicher Vertragsbedingungen zu sorgen. Nahm er seine Verantwortung ernst, sollte er im Amt bleiben und zudem von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen werden.
    Barthel und Henrika begleiteten die Männer die Treppe hinauf. Inzwischen war die Sonne aufgegangen, deren warme Strahlen sich in den noch heilen Scheiben brachen und wie mit einem unsichtbaren Pinsel kleine, tanzende Kreise auf den glatten Steinboden malten. Auf dem Hof erklang das Gackern des aufgescheuchten Federviehs.
    «Der Bursche hat einen Streifschuss abbekommen», erklärte Barthel, als die Männer Lutz entdeckten. «Er hat sich die Verletzung selbst zuzuschreiben, denn er griff zuerst Henrika Gutmeister an, dann mich.»
    «Der Sohn der Baumwirtin hat so wenig Verstand wie mein leerer Schweinetrog», bestätigte Litter nickend. Er blickte Henrika vorwurfsvoll an. «Konntest du ihn nicht zurückhalten? Auf dich hörte er doch sonst!»
    Ehe Henrika zu einer Erklärung ansetzen konnte, befahl Barthel Litters Knecht, den Bewusstlosen auf den mit Stroh beladenen Karren auf dem Hof zu legen.
    «Vergesst nicht, dass Ihr mir vor Zeugen einen heiligen Eid geschworen habt», rief er dem Schultheiß zum Abschied hinterher. «Wenn Ihr wollt, dass das Dorf aufblüht, werdet Ihr ihn halten. Wenn Ihr es brennen sehen wollt, könnt Ihr versuchen, mich zu täuschen.»
    Litter stapfte davon. Den Karren mit Lutz ließ er von seinem Knecht schieben.

    «Ich habe schon bei unserer ersten Begegnung vermutet, dass dir das Schicksal eine erstaunliche Gabe anvertraut hat», sagte Barthel einige Stunden später.
    Er hatte es sich in seinem mit rotem Samtpolster ausgeschlagenem Sessel bequem gemacht und die Beine auf ein Fußbänkchen gelegt. In der Hand hielt er einige Skizzen, auf die er jedoch nur hin und wieder einen flüchtigen Blick warf. Stattdessen sah er Henrika zu, die mit einem Reisigbesen Steine, Scherben und Reste von Asche zusammenfegte. Sie hatte das zerschlagene Glas aus den Fensterrahmen entfernt und die Vorhänge ausgeklopft. Das Feuer im Kamin schaffte es zwar nicht, die Kälte aus dem Raum zu vertreiben, doch dem Baumeister schien das nichts auszumachen. Er hatte angekündigt, die Gäste der kurfürstlichen Residenz nur kurz in sein Kabinett zu bitten. Das Gastmahl sollte in der Halle abgehalten werden, deren Fensterscheiben wie durch ein Wunder heil geblieben waren.
    Henrika hob den Kopf und schnupperte. Noch immer lag ein feiner Brandgeruch in der Luft, als hätten die Bauern ganz in der Nähe das Frühlingsfeuer angezündet, um den Winter aus dem Dorf zu vertreiben. Der Geruch würde bis zum Nachmittag nicht völlig verschwunden sein.
    «Könntest du deinen verflixten Besen wenigstens für zwei Minuten aus der Hand legen», beklagte sich Barthel. «Ich rede nicht gern mit mir selbst. Außerdem ersticke ich gleich an dem Staub, den du aufwirbelst.»
    «Wenn ich mich nützlich mache, muss ich wenigstens nicht daran denken, dass ich beinahe gesteinigt worden wäre. Vielleicht vergesse ich sogar, dass der arme Lutz Euch mit bloßen Händen erwürgen wollte und ich auf ihn geschossen habe.» Sie hielt inne und blickte auf den Besenstiel. «Ich wüsste so gern, wie es um ihn steht.»
    «Die Wirtin wird sich schon um ihren Sohn kümmern. Er sollte zufrieden sein, dass ich ihn nicht aufs Rad flechten oder zumindest ins städtische Tollhaus bringen lasse. Der Bursche ist gemeingefährlich.»
    «Ist er nicht!»
    «Natürlich ist er das», rief Barthel. «Wenn die Abdrücke auf meinem Hals und die Wunde an meinem Kopf nicht wie von Zauberhand verschwunden wären, könnte ich dir sogar beweisen, wie gefährlich er ist.» Er nahm den Zinnbecher mit heißer Molke, den Henrika ihm zubereitet hatte, und trank so gierig, dass die dicke Flüssigkeit über sein stoppeliges Kinn rann. Während der vergangenen Stunde hatte er sich erstaunlich gut erholt. Er war in saubere Kleider geschlüpft, hatte sein strähniges Haar gebürstet und einen spitzen Kragen um den Hals gebunden. Allein sein mörderischer Durst und der raue Ton, der in seiner Stimme mitschwang, erinnerten an das, was er

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