Die Meisterin der schwarzen Kunst
endgültig die Nase voll von dir», keuchte er mit verzerrtem Gesicht. «Ich werde meinen Spaß mit dir haben, das schwöre ich. Aber anschließend schnür ich dir die Luft ab, du Biest. Wenn ich nach Mannheim zurückkehre, werde ich es als reicher Mann tun oder gar nicht.»
Die Angst ließ Henrika den Schmerz vergessen. Sie verlor keine weitere Zeit und stürzte aus der Hütte. Schneeflocken tanzten vor ihrem Gesicht und kühlten ihre erhitzten Wangen. Aus einiger Entfernung hörte sie den Atem des Schuhmachers. Er hatte die Verfolgung aufgenommen. Doch aus irgendeinem Grund benutzte er dafür nicht das Pferd, mit dem er in den Schafgarten geritten war, sondern setzte ihr zu Fuß nach.
Während sie rannte, merkte Henrika, dass ihr etwas warm den Rücken hinunterlief. Blut? Hatte die Schaufel sie so stark verletzt? Der Schmerz begann sich in ein taubes Gefühl zu verwandeln, dennoch blieb sie nicht stehen. Sie wusste, dass sie sonst verloren war. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, den Blick starr nach vorne gerichtet, bis sie eine dicht verschneite Hecke erreichte. Sie bildete die Grenze des Schafgartens. Auf der anderen Seite beschrieb der Weg eine Biegung, die den Hang hinunter zum Fluss führte.
Da das kleine Gattertor zu weit von der Schäferhütte entfernt war, kämpfte sich Henrika durch das Dornengestrüpp; ihre Sinne waren schon so getrübt, dass sie gar nicht merkte, wie ihr Haar sich in dürren Zweigen verfing. Ihr einziger Gedanke war, dass sie Bunter entkommen musste, wenn sie nicht sterben wollte.
Während sie den Hang hinuntertaumelte, riskierte sie einen kurzen Blick über die Schulter, doch alles, was sie sah, war ein von dichten Bäumen und Büschen gesäumter Weg. Von dem Schuhmacher war weit und breit nichts zu sehen. Am Anfang hatte er noch gelegentlich geflucht und ihr befohlen, stehen zu bleiben, doch nun war alles still. Gespenstisch still. Nicht einmal ein Tier regte sich im Unterholz. Tief unter ihr gurgelte der Fluss. Er war nicht zugefroren, obwohl tagelang in der Stadt darüber geredet worden war, dass es nun wohl bald so weit sei. Schlotternd eilte Henrika durch die Nacht. Konnte es möglich sein, dass Bunter die Verfolgung aufgegeben und nach Mannheim zurückgekehrt war, um Verstärkung zu holen? Nein, das war unwahrscheinlich. Um seinen Triumph auszukosten, hatte er ihr gegenüber zugegeben, dass seine Auftraggeberin nicht wünschte, sie lebend wiederzusehen. Er hatte eine Hetzjagd begonnen und würde diese erst beenden, wenn er sein Wild erlegt hatte.
Henrika überlegte, ob sie sich zwischen den Büschen verstecken sollte, doch sie verwarf den Gedanken. Nicht nur, dass es viel zu kalt dafür war; sie musste die Stadtgrenzen auch hinter sich gelassen haben, bevor der Morgen graute. Ihre einzige Chance war der Fluss. Unterhalb ihrer Lieblingsstelle, dem verwitterten Steg, lag noch immer ein alter Kahn. Jedenfalls hatte Henrika ihn im letzten Sommer im Schutz herabhängender Zweige einer Weide gesehen und festgestellt, dass er einigermaßen seetüchtig war. Natürlich war es ein ungeheuerliches Wagnis, mitten in der Nacht im Schneegestöber einen Kahn zu besteigen, doch eine andere Möglichkeit, Mannheim zu verlassen, gab es nicht. Das nächste Bauerndorf war etliche Meilen entfernt; zu Fuß und aus mehreren Wunden blutend, würde sie es niemals schaffen.
Henrika verließ den Hangweg und lief durch ein kleines Waldstück. Hier fühlte sie sich sicherer als auf der Straße. Von fern glaubte sie ein Licht durch die Äste der Bäume scheinen zu sehen und Hundegebell zu hören. Hoch über ihrem Kopf sandte ein Käuzchen seinen unheilvollen Ruf durch die Nacht. Durchsuchte man bereits den Wald nach ihr?
Endlich erreichte sie den Fluss. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Länger hätten ihre zu Eis erstarrten Füße sie nicht getragen. Jeder Schritt bereitete ihr Qualen. Vorsichtig blickte sie sich um. Im Winter sah hier alles so anders aus. Kahl, leblos und bedrohlich. Jenseits des aufgeschütteten Walls ging es steil die Böschung hinab. Zu ihren Füßen zog der mächtige Strom schwarz wie Tinte an ihr vorüber. Bei dem Gedanken, hinaus aufs Wasser zu müssen, wurde Henrika so übel, dass sich ihre Glieder verkrampften. Zu allem Überfluss kehrte nun auch noch die Erinnerung an ihren Traum von dem See und ihren verzweifelten Bemühungen, das Ufer zu erreichen, zurück.
Der See und das Lied. Anna, die sie an den Schuhmacher verraten hatte. Barthels tote,
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