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Die Melodie des Todes (German Edition)

Die Melodie des Todes (German Edition)

Titel: Die Melodie des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jørgen Brekke
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Messer in den Hals und tritt mich zu Tode, wie er es mit Bismarck gemacht hat.
    Sie bereute, dass sie nichts von dem gegessen hatte, was er ihr hingestellt hatte. Das Essen hätte ihr vielleicht die Kraft gegeben, sich wach zu halten. Jetzt war sie ausgekühlt und fast verhungert.
    Da hörte sie draußen Geräusche. Jemand lief durch den Schnee.
    Er kommt zurück, dachte sie. Jetzt muss ich für ihn singen. Ich muss es schaffen, sonst bringt er mich um. Sie horchte in sich hinein, ob da überhaupt noch so etwas wie Kraft war. Ihre Mutter hatte ihr früher, als sie noch klein war, immer Geschichten erzählt, die oft von Menschen handelten, die in Krisensituationen ungeahnte Kräfte mobilisiert hatten. Sie hatte keine Ahnung, woher die Kräfte kommen sollten, und fürchtete, dass es diese Kräfte in Wirklichkeit nur in diesen Geschichten gab. Wer bin ich? Für was kämpfe ich?, dachte sie, als von draußen wieder Geräusche zu ihr hereindrangen.
    Es klang wie eine Schlägerei. Tiefe, raue Männerstimmen und schwerer Atem. Plötzlich war ein Schmerzensschrei zu hören, gefolgt von einem Lachen.
    Das Lachen war von ihm, das erkannte sie, aber da draußen war jetzt noch jemand, und das gab ihr Hoffnung.
    Der Unbekannte schrie noch einmal. Dann hörte sie das gleiche Geräusch wie vor Tagen, als er Bismarck im Keller zusammengetreten hatte. Ein letzter, hoher Ton kam von dem Unbekannten, dann war alles wieder still. Sie schloss die Augen und hörte, wie etwas Schweres in die Schneehöhle gezogen wurde. Dann wurde jemand gefesselt.
    Sie wollte es nicht sehen, noch nicht.
    Erst als er wieder draußen war, öffnete sie die Augen und starrte direkt auf eine leblose Gestalt. Es war zu dunkel, um etwas zu erkennen, aber sie spürte eine seltsame Nähe zu diesem Mann, der vielleicht versucht hatte, sie und ihr Baby zu retten. Außerdem war sie froh über die Gesellschaft, wenn sie schon hier drinnen sterben sollte.
    Dann kam er zurück.
    »Singst du jetzt für mich?«, fragte er mit aufgesetzt freundlicher Stimme und zeigte im Dunkeln mit etwas auf sie, vielleicht einem Messer.
    Sie sah ihn lange an. Fühlte, wie müde sie war. Hatte sich entschieden, jetzt für ihn zu singen. Sie hoffte noch immer, dass das ihre Chance war zu entkommen. Vielleicht konnte sie sogar den Mann neben sich retten.
    Es überraschte sie deshalb selbst, als sie laut und deutlich sagte: »Nein!«
    Im nächsten Augenblick verstand sie, warum. Wenn ich singe, bringt er uns hinterher doch nur um, egal wie es läuft, wenn ich mich hingegen weigere, weiß ich nicht, was passiert. Eine Ungewissheit, die so etwas wie Hoffnung in sich barg.
    Sie fühlte seinen Blick auf sich. Sie erinnerte sich an seine traurigen Augen, die sie in diesen Albtraum gelockt hatten.
    Dann sang er selbst.
    Er traf die Töne nicht richtig, aber das machte seinen Gesang nur noch teuflischer, herzerweichender und rauer, als wollte er den Wahn unterstreichen, in dem er lebte. Er sang das Lied bis zu Ende. Über Träume, über die Grausamkeit der Welt und über den großen, befreienden Schlaf. Als er fertig war, war sie so müde, dass sie ihre Augen nicht mehr offen halten konnte.
    Sie konnte im Dunklen nicht sehen, was dann geschah, hörte nur, dass er seine Arme schnell bewegte. Dann war ein einzelner Ton zu hören, wie wenn eine stumme Saite riss. Gleich darauf fiel er schwer neben ihr zu Boden und blieb reglos liegen.
    In der Ferne hörte sie das Heulen von Sirenen.

34
    Trondheim, 1767
    N ils Bayer kam mit seinem Pferd am frühen Morgen am Stadtrand von Trondheim an. Er wählte die Route über Småbergan, vorbei an der Festung, wo er die Stadt unter sich im Morgengrauen liegen sah.
    Nach den Jahren in Kopenhagen würde er in Trondheim immer nur eine kleine Stadt sehen, und er fürchtete, dass diese Stadt sein Untergang sein würde. Doch jetzt, im Morgengrauen, konnte er nicht anders, als sie zu mögen. Die windschiefen Holzhäuschen mit den Strohdächern, die Gassen und Wege, die Kutscher und Spielleute, Marktfrauen, Wissenschaftler, Adligen und Besoffenen, Freudenmädchen und Irren. Er konnte nicht anders, als Zuneigung für dieses seltsame, kleine Land zu emp finden, in das er gekommen war. Unter den Norwegern herrschte eine ganz unerklärliche Zuversicht. Er selbst kam aus einem alten Land, einem Land, das alle Hände voll zu tun hatte zu bewahren, was es einmal gewesen war. Aber hier in Trondheim, im kleinen, armen Norwegen, liefen die Geschäfte gut. Hier bekam man die neuesten

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