Die Melodie des Todes (German Edition)
und spürte, wie seine Finger zu zittern aufhörten. »Ich brauche nur diesen Gewinn. Der die Druckkosten deckt und mehr noch.«
Die Geräusche im Lokal verstummten, und er ließ den Augen blick voller Qualen und Erwartungen auf sich wirken.
»Jetzt halt die Klappe und wirf diese verfluchten Würfel!«, rief einer der Männer, die um ihren Tisch herumstanden.
Einen Einsatz dieser Größe hatte es im Wirtshaus Den Gyldene Freden noch nie zuvor gegeben, und alle Gäste warteten gespannt auf den Ausgang des Spiels.
»Nein, erzählt uns mehr über dieses Lied«, kam es von einer Bassstimme.
Sie gehörte dem Wirt mit der roten Nase, einem musika lischen Multitalent, das neben dem Waldhorn Flöte, Leier, Oboe, Fagott, Klarinette, Bratsche und Harfe zu spielen vermochte und neben seiner Arbeit auch noch die Pauke schlug. Er saß mit den beiden am Tisch, war aber schon einige Runden zuvor aus dem Spiel ausgestiegen.
Wingmark sah ihn an, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und wischte sich den Schweiß an der Hose ab.
»Wenn Ihr wirklich ein Lied geschrieben habt, durch das allein Ihr zu Ruhm und Reichtum kommen wollt, würden wir es gerne hören«, sagte der Wirt mit einem gefährlichen Blitzen in den Augen. Alle am Tisch, selbst der benebelte Uhrmacher, begannen grölend zu lachen. Sie glaubten ihm nicht, aber das spielte keine Rolle. Eines Tages würden sie schon erkennen, wer er wirklich war.
Wingmark blieb regungslos sitzen, bis alle wieder zur Ruhe gekommen waren, dann sagte er:
»Heute Abend lasse ich lieber die Würfel sprechen.« Er sah zu dem bedauernswerten Fredman hinüber, dem das Grinsen verging.
»Gut gesprochen, dann werft auch«, sagte der Wirt.
Von diesem Augenblick an stand sein Herz still. Er sah auf die Würfel und spürte ihren Tanz in seinen klammen Handflächen. Er schnalzte mit der Zunge, trat mit den Füßen den Takt einer inneren, ungeborenen Melodie und trank den letzten Schluck aus dem Becher. Dann blieb auch die Zeit stehen. Als hätte Fredman sie mit seinem tiefen Atemzug in seine Brust ein gesogen. Wingmarks Hand bewegte sich. Über die Tischkante hinaus, wo sie in der Luft hängen blieb. Die Zuschauer beugten sich vor, als versuchten sie, den Wert der Würfel schon vor dem Wurf zu erkennen. Dann beschrieb seine Hand einen Bogen, die Würfel lösten sich von der Handfläche und gaben ihm das Gefühl, als schleudere er kleine Teile von sich selbst auf die Tischplatte. Er folgte nur einem der drei Würfel mit den Augen, dem, der als Letzter zur Ruhe kam. Er drehte sich noch einen Moment lang auf einer Ecke, unsicher, ob er sich zur fünf oder zur eins wenden sollte, entschied sich dann aber für die eins.
Wingmark schloss die Augen und dachte nach. Die beiden anderen Würfel mussten mindestens neun Augen zählen. Sollte mir das Glück doch verwehrt bleiben? Dann hob er die Lider und den Kopf und blickte Fredman ins Gesicht, in die Augen eines besiegten Mannes. Er senkte den Blick. Nur ein Würfel zeigte die Eins. Die anderen beiden waren Fünfer. Er ließ sich nach vorne kippen und schlug mit der Stirn auf die Tischplatte. Eine wundersame, neue Melodie erfüllte seinen Kopf.
Benommen stand er auf und reckte die Arme in die Luft. Der mäßige Jubel, der im Lokal ausbrach, zeigte ihm, dass die größeren Sympathien auf Seiten des Uhrmachers gewesen waren. Aber was spielte das für eine Rolle? Seinen Glücksrausch schmälerte das nicht. Heute konnte er allen ein Glas spendieren und morgen würde er zum Drucker gehen.
In diesem Moment flog die Tür des Wirtshauses krachend auf. Alle drehten sich um. In der Türöffnung stand ein Riese von einem Mann, sicher mehr als sechs Fuß groß und wie ein Edelmann gekleidet. Wingmark kannte ihn und wusste, dass er ebendas war.
Er hatte zwei Tage zuvor ein Lied für die Hochzeit von Herrn Eriks ältester Tochter geschrieben. Mit dem Lohn, den er dafür bekommen hatte, war er in dieses Spiel eingestiegen. In diesem Moment wusste außer ihm niemand, weshalb der Mann in der Tür des Gyldene Freden derart außer sich war. Der Mann war Herrn Eriks Großknecht und enger Vertrauter. Das Hochzeitslied war nicht nach dem Geschmack des ehrenhaften Herrn gewesen, denn Wingmark hatte seiner Fantasie dieses Mal etwas zu sehr freien Lauf gelassen und hatte den Adeligen damit offenbar erzürnt. Waren es der Vergleich der Tochter des hohen Herrn mit Aphrodite oder die gewagten Bibelparodien, die er eingeflochten hatte, und die ihm selbst so gut gefallen
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