Die Melodie des Todes (German Edition)
Frühjahr quälend früh gekommen. Es hieß, das sei den ungewöhnlich hohen Nacht temperaturen zu verdanken. Doch die Fliegen quälten ihn nicht. Er lauschte ihrem Surren und stellte sich vor, es wäre eine Melodie.
Und so begann er, ein neues Lied zu dichten.
2
S tänkerer Löfberg war nicht sein richtiger Name, er nannte sich nur selbst im Stillen so. Er trat in den ständig die Richtung wechselnden Wind, der über die Straße fegte, und blieb stehen. Durch die Bäume sah er die Ludvig Daaes gate, auf der die Schneeflocken wie lautlose Insektenschwärme die hell erleuchteten Straßenlaternen umschwärmten. Die Autos waren zur Ruhe gekommen und überließen das nächtliche Trond heim der Stille. Sein Atem ging langsam und in seinem Kopf war nur noch die Erinnerung an einen Traum. Es war Wo chen her, dass er zuletzt etwas geträumt hatte, trotzdem wirbelten alte Traumfetzen wie trockenes Laub durch seine Gedanken. Unten auf der Nonnegata, direkt vor dem Kiosk, in dem er sich täglich seine Zigaretten kaufte, war er dem Teufel be gegnet.
Satan war ein höflicher Mann mit schwarzem Frack und leerem Blick.
»Bist du endlich gekommen, um mich zu holen?«, hatte er gefragt.
»Nein«, hatte der Teufel geantwortet. »Du bist doch schon lange da.«
Auf seine Frage, wie er das verstehen sollte, hatte er keine Antwort bekommen. Erst nach dem Aufwachen hatte er es verstanden: Die Hölle bedeutete nichts anderes, als mit dem weiterzumachen, was er schon immer tat.
Langsam ließ er das Gespenst eines Traums im nächtlichen Dunkel entschwinden. Er nahm die Spieldose aus der Mantel tasche und zog sie auf. Die Töne kamen, sobald er den Schlüssel losließ. Er drehte sich um, ging zwei Schritte zurück und stellte die Spieldose auf sie. In diesem Moment hörte er die Schritte, die sich über die menschenleere Straße näherten.
*
Es war, als verfolgte der Wind sie durch die Straßen, ja, als schöbe er sie vor seinen eiskalten Böen durch die Nacht, damit sie schnell wieder bei ihrem schnarchenden Mann im Trondheimer Stadtteil Rosenborg im Bett lag. Evy Saupstad hatte es an diesem Abend wieder einmal nicht geschafft einzuschlafen, ehe das Sägewerk neben ihr den Betrieb aufgenommen hatte, und danach war jede Hoffnung vergebens. Das war der Preis dafür, dass sie auf dem Heimflug von Teneriffa so gut geschlafen hatte. Sie beneidete ihren Mann, der seinen Schlaf ganz unfreiwillig aufgespart hatte, bis sie wieder zu Hause wa ren. An der Ecke Ludvig Daaes gate und Bernhard Getz’ gate blieb sie stehen und ließ den Hund sein Geschäft machen. Sie sah auf die Uhr. Es war halb vier. Nur gut, dass sie noch ein paar Tage Ferien hatte und am nächsten Morgen ausschlafen konnte.
Als der Hund fertig war, nahm sie eine schwarze Plastiktüte aus der Tasche, um den Haufen einzusammeln.
Die Straßenseite, auf der sie stand, grenzte an ein kleines Wäldchen, das sich über eine Kuppe, den Lille Kuhaugen, bis nach oben zum Skyåsvegen erstreckte.
Sie wollte sich gerade wieder aufrichten, als sie irgendwo zwischen den Bäumen eine Melodie hörte. Eine langsam wo gende Melodie aus klaren Tönen. Sie ging der Musik ent gegen.
Weniger als zehn Schritte vom Weg entfernt, sah sie etwas in dem schwachen Licht, das durch die kahlen Winterbäume fiel, ein hübsches, kleines Instrument, eine zylinderförmige Spieldose mit einer tanzenden Ballerina auf dem Deckel, die sich drehte, solange die Musik spielte. Es sah fast so aus, als wollte sie sich den Schnee aus den Haaren schütteln. Kurz nachdem Evy Saupstad das Instrument erblickt hatte, blieb die Spieldose stehen und die Musik erstarb. Schlagartig war es vollkommen still zwischen den Bäumen, und sie blieb stehen, bis ihre Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten. Es erstaunte sie immer wieder, wie still es um diese Tageszeit war. Wollte man in einer Stadt wie Trondheim einmal wirklich allein sein, musste man nur um diese Zeit nach draußen gehen.
Als der Hund zu bellen anfing, sah sie es. Die Spieldose stand nicht auf dem Boden. Der Schnee hatte sich wie eine weiße Decke über die leblose, menschliche Gestalt gelegt. Als sie näherkam, bemerkte sie den roten Schnee unter ihrem Hals. Das Blut war aus der durchschnittenen Kehle gelaufen und in der Kälte erstarrt. Ein metallischer Geruch streifte ihre Nase, bevor er vom Wind und den wirbelnden Schneeflocken fortgetragen wurde.
Evy Saupstad schluchzte auf und sah sich ängstlich um. Die Spuren, die von der Leiche wegführten, verschwanden
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