Die Memoiren des Grafen
nicht handeln», überlegte Anthony. «Die stecken in einem großen, unförmigen Paket. Es muss etwas viel Kleineres sein.»
«George weiß es jedenfalls», behauptete Virginia. «Ich will schauen, ob ich es aus ihm herausbringe.»
«Sie dachten, dass nur ein einziger Mann im Zimmer war», fuhr Anthony fort, «aber Sie waren dessen nicht ganz sicher, weil Sie ein Rascheln zu hören glaubten, als Sie zum Fenster rannten.»
«Das Geräusch war nur ganz schwach», meinte Virginia, «und ich kann mich ebenso gut getäuscht haben.»
«Vielleicht. Falls es aber doch kein Irrtum war, dann muss diese zweite Person ein Hausbewohner gewesen sein. Ich frage mich nun –» Anthony brach ab.
«Was wollten Sie sagen?», erkundigte sich Virginia.
«Die peinliche Sorgfalt dieses Mr Fish, der sich erst mal vollständig anzieht, wenn er Hilferufe hört, verblüfft mich.»
«Da ist was dran», stimmte Virginia zu. «Und auch Mr Isaacstein dürfen wir nicht vergessen, der den ganzen Lärm verschläft. Auch das ist verdächtig.»
«Außerdem ist da noch dieser Bursche Boris», schaltete sich Bill ein. «Sieht aus wie ein echter Mordgeselle.»
«Chimneys ist voll von verdächtigen Gestalten», behauptete Virginia. «Wahrscheinlich aber denken die andern das Gleiche von uns. Schade, dass Inspektor Battle nach London gefahren ist. Scheint mir sehr unklug von ihm. Übrigens, Mr Cade: Ich habe diesen merkwürdigen Franzosen einige Male im Park herumspionieren sehen.»
«Die ganze Geschichte ist sehr verwickelt», gestand Anthony. «Ich war auch auf falscher Fährte und habe mich wie ein Dummkopf benommen. Momentan lautet die wichtigste Frage: Haben die Leute das gefunden, wonach sie suchten?»
«Und wenn nicht?», meinte Virginia. «Ich bin fast sicher, dass es nicht der Fall ist.»
«Dann werden sie wohl wiederkommen. Sie wissen sicher bereits – oder sie werden es bald genug erfahren –, dass Battle in London ist. Sie werden daher heute Nacht einen zweiten Versuch wagen.»
«Glauben Sie das wirklich?»
«Es liegt jedenfalls im Bereich des Möglichen. Wir drei wollen eine kleine ‹Organisation› gründen. Eversleigh und ich werden uns heute Nacht unter Berücksichtigung aller Vorsichtsmaßnahmen im Ratssaal verstecken.»
«Und ich?», unterbrach Virginia. «Versuchen Sie nicht, mich auszubooten.»
«Aber Virginia, das ist doch Männerarbeit –»
«Seien Sie kein Idiot, Bill. Ich bin mit von der Partie, täuschen Sie sich nicht. Die ganze Organisation wird heute Nacht Wache schieben.»
Nachdem sich die Gäste abends alle zurückgezogen hatten, schlich ein Verschwörer nach dem andern hinunter. Alle waren mit starken Taschenlampen ausgestattet, und in Anthonys Tasche steckte ein Revolver.
Anthony hatte gesagt, er erwarte einen zweiten Einbruchsversuch – er glaubte jedoch nicht, dass dieser Versuch von außen gestartet würde. Er war überzeugt, dass Virginia recht hatte mit ihrer Vermutung, jemand sei im Dunkel der letzten Nacht an ihr vorbeigestreift. Und als er im Schatten eines alten Eichenschrankes stand, hielt er seine Augen auf die Tür und nicht auf die Fenster gerichtet. Virginia kauerte hinter einer der Rüstungen an der Seitenwand, und Bill befand sich zwischen den Balkontüren.
Die Minuten schlichen mit unendlicher Langsamkeit dahin. Es schlug ein Uhr, dann halb, dann zwei und wieder halb. Anthonys Glieder wurden steif und verkrampft. Er begann zu glauben, dass er sich wiederum geirrt habe. Diese Nacht würde kein Versuch mehr unternommen werden. Doch plötzlich hielt er den Atem an. Er hörte einen leisen Schritt von der Terrasse her. Wiederum Stille, dann begann ein sachtes Kratzen an der Balkonscheibe, und schon bald schwang die Tür nach innen. Ein Mann trat ins Zimmer.
Einen Moment verhielt er sich ganz still und schien zu lauschen. Dann knipste er eine Taschenlampe an und ließ den Strahl vorsichtig ringsumschweifen. Anscheinend bemerkte er nichts Verdächtiges. Die drei Beobachter hielten den Atem an. Der Eindringling bewegte sich leise zur gleichen Wand, die er am vorigen Abend abgeklopft hatte.
Eine schreckliche Gewissheit überfiel Bill: Er musste niesen! Bei der wilden Jagd durch den feuchten Park in der vergangenen Nacht hatte er sich erkältet. Er versuchte alle Gegenmittel, die ihm bekannt waren. Er presste die Lippen zusammen und atmete tief, er warf den Kopf zurück und blickte zur Decke empor. Zuletzt hielt er sich noch verzweifelt die Nase zu. Alles umsonst: Er nieste!
Ein
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