Die Memoiren des Grafen
könnte ohne ihr Wissen entdeckt haben, wo sie den Stein versteckte. Was hätte er in diesem Fall wohl getan?»
«Sich still verhalten», meinte Battle nach einigem Zögern.
«Ich bin ganz Ihrer Meinung», bekräftigte der Franzose. «Es wäre eine heikle Situation für ihn gewesen. Den Stein anonym zurückzugeben wäre sehr schwierig geworden. Auf der andern Seite aber hätte ihm sein Wissen um dieses Versteck große Macht verliehen – und er liebte die Macht über alles, dieser merkwürdige alte Herr. Er hätte nicht nur die Königin in der Hand gehabt – es wäre überhaupt eine sehr wertvolle Waffe für ihn gewesen, die er zu gegebener Zeit hätte benutzen können. Das war ja keineswegs sein einziges Geheimnis, o nein! Er sammelte Geheimnisse wie andere Menschen wertvolles Porzellan. Es wird behauptet, dass er ein paar Mal vor seinem Tod damit prahlte, was er alles erzählen könnte – falls ihn die Lust dazu ankäme. Und mindestens einmal erklärte er, seine Memoiren würden überraschende Enthüllungen enthalten. Daher», der Franzose lächelte etwas gequält, «daher die allgemeine Angst vor diesen Memoiren. Unsere eigene Geheimpolizei wollte sie an sich bringen, aber der Graf sorgte dafür, dass sie noch vor seinem Tod verschwanden.»
«Immerhin liegt kein Grund vor anzunehmen, dass er auch dieses spezielle Geheimnis kannte», bemerkte Battle.
«Ich bitte um Verzeihung», warf Anthony ruhig ein, «aber seine eigenen Worte bestätigen es.»
«Wie?»
Der Inspektor und der Franzose blickten ihn an, als ob sie ihren Ohren nicht trauten.
«Als Mr McGrath mir das Manuskript übergab, erzählte er mir die Umstände seiner Begegnung mit dem Grafen Stylptitch. Es war in Paris. Sich selber in Gefahr bringend, befreite er, Mr McGrath, den Grafen aus den Händen einer Apachenbande. Der Graf war etwas – sagen wir ‹angeheitert›. Und in diesem Zustand machte er zwei recht bedeutsame Bemerkungen. Die eine davon lautete: Er wisse, wo sich der Koh-i-noor befinde, eine Feststellung, der mein Freund kein Gewicht beimaß. Ferner sagte er, die Leute, die ihn verfolgt hatten, gehörten zur Bande von König Victor. Zusammengenommen sind diese beiden Bemerkungen sehr aufschlussreich.»
«Guter Gott», rief Inspektor Battle aus, «das kann man wohl sagen. Selbst der Tod von Fürst Michael erhält dadurch einen anderen Aspekt.»
«König Victor hat niemals gemordet», erinnerte der Franzose.
«Wenn er aber auf der Suche nach dem Juwel überrascht wurde?»
«Befindet er sich denn in England?», fragte Anthony scharf. «Sie sagten, dass er vor ein paar Monaten entlassen wurde. Hat man ihn nicht überwacht?»
Ein etwas klägliches Lächeln überflog das Gesicht des Franzosen. «Wir versuchten es, Monsieur. Aber der Mann ist ein wahrer Teufel. Er entglitt uns direkt unter den Händen. Wir nahmen natürlich an, dass er sich sofort nach England begeben werde. Aber nein! Er ging – was glauben Sie wohl, wohin?»
«Nun, wohin?», fragte Anthony. «Nach Amerika – in die Vereinigten Staaten.»
«Wie?» Höchste Überraschung klang in Anthonys Stimme.
«Jawohl! Und wissen Sie, wie er sich dort nannte? Wessen Rolle er spielte? – Die Rolle des Prinzen Nikolaus von Herzoslowakien!»
Anthonys Erstaunen war nicht geringer als eben das von Inspektor Battle. «Unmöglich!»
«O nein, mein Freund. Auch Sie werden die Neuigkeit morgen in den Zeitungen lesen. Es war ein kolossaler Bluff. Wie Sie wissen, glaubte man, dass der Prinz vor Jahren im Kongo umgekommen sei. Unser Freund König Victor ergreift diese Gelegenheit – es ist schwer, einen solchen Tod zu beweisen. Er lässt Prinz Nikolaus wiederauferstehen und spielt seine Rolle so vortrefflich, dass er einen ungeheuren Haufen amerikanische Dollars einsteckt – alles für die angeblichen Ölkonzessionen. Durch einen bloßen Zufall wurde er entlarvt und musste Hals über Kopf aus Amerika fliehen. Diesmal kam er wirklich nach England – und deshalb bin ich hier. Früher oder später wird er auf Chimneys auftauchen. Falls er nicht bereits hier ist.»
«Sie glauben, dass –»
«Ich glaube, dass er in der Nacht der Ermordung von Fürst Michael hier war – und ebenfalls wieder letzte Nacht.»
«Das war also ein zweiter Versuch?», warf Battle ein.
«Es war ein zweiter Versuch.»
«Was mich die ganze Zeit beunruhigt», fuhr Battle fort, «war die Frage, was aus unserem Mr Lemoine geworden sei. Ich hatte Nachricht aus Paris erhalten, dass er herüberkäme, um mit uns
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