Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2
bestätigte. Als der Besucher in seiner Wohnung erschienen war, hatte er einen Totschläger aus dem Ärmel gezogen und ihm auf diese Weise Furcht vor einem augenblicklichen und unausweichlichen Tod eingejagt, so daß die Entführung ein zweites Mal gelang. In der Tat war es fast ein Mesmerischer Effekt, den der nervös lachende Schurke in dem sprachkundigen Mann auslöste, denn der konnte jetzt noch nicht von ihm sprechen, ohne daß ihm die Hände zitterten und das Gesicht erbleichte. Er war in aller Eile nach Beckenham gebracht .worden und hatte bei einer zweiten Unterredung dolmetschen müssen, die sich noch dramatischer gestaltete als die erste und in der die beiden Engländer ihrem Gefangenen mit sofortigem Tod drohten, wenn er ihren Forderungen nicht entspräche. Schließlich, als er sich gegen jede ihrer Drohungen immun erwies, warfen sie ihn wieder in sein Gefängnis. Dann hielten sie Melas den Verrat vor, den er durch die Zeitungsinserate begangen habe, und schlugen ihn mit einem Stock nieder. Er wußte nicht, was von da bis zu dem Moment, als wir uns über ihn beugten, geschehen war.
Das also war der außergewöhnliche Fall des griechischen Dolmetschers, bei dessen Erklärung man noch immer auf Geheimnisse stößt. Indem wir uns mit dem Herrn, der auf das Inserat ge schrieben hatte, in Verbindung setzten, konnten wir herausfinden, daß die unglückliche junge Dame einer reichen griechischen Familie entstammte und daß sie Freunde in England besucht hatte. Hier begegnete sie einem jungen Mann mit Namen Harold Latimer, der starken Einfluß auf sie ausübte und sie überreden konnte, mit ihm zu fliehen. Ihre Freunde, betroffen von dem Ereignis, benachrichtigten den Bruder in Athen und kümmerten sich dann nicht weiter um die Angelegenheit. Der Bruder begab sich bei seiner Ankunft in England unvorsichtigerweise in die Gewalt Latimers und seines Kumpans, eines gewissen Wilson Kemp, der ein Mann von übelstem Ruf war. Die beiden fanden sehr schnell heraus, daß er durch seine Unkenntnis der englischen Sprache hilflos war, und sie hielten ihn gefangen, um ihn durch grausame Behandlung und Hunger dazu zu bringen, daß er ihnen durch seine Unterschrift sein und seiner Schwester Vermögen vermachte. Sie hielten ihn im Haus, ohne daß das Mädchen etwas davon wußte, und das Pflaster kreuz und quer über seinem Gesicht sollte verhindern, daß sie ihn erkannte, wenn sie ihn zufällig zu sehen bekam. Mit weiblicher Intuition aber durchschaute sie sofort die Maskerade, als sie ihn beim Besuch des Dolmetschers zum ersten Mal erblickte. Das arme Mädchen war selber eine Gefangene, denn niemand lebte in diesem Haus als ein Mann, der als Kutscher fungierte, mit seiner Frau, und beide waren sie Werkzeuge der Verbrecher. Als die Schurken erkennen mußten, daß ihr Geheimnis gelüftet war und daß der Gefangene sich nicht zwingen ließ, ihnen zu Willen zu sein, flohen sie mit dem Mädchen, kurze Zeit bevor wir dort auftauchten, aus dem möbliert gemieteten Haus, nicht ohne Rache genommen zu haben an dem Mann, der ihnen getrotzt hatte, und an dem, von dem sie verraten worden waren.
Einige Monate später erhielten wir einen seltsamen Zeitungsausschnitt aus Budapest. Er besagte, daß zwei Engländer, die mit einer Frau auf Reisen gewesen seien, ein tragisches Ende ereilt habe. Beide seien erdolcht worden, und die ungarische Polizei nehme an, sie hätten miteinander gestritten und sich dabei die tödlichen Verletzungen zugefügt. Holmes indes, glaube ich, war anderer Meinung und ist bis heute davon überzeugt, daß sich, wenn man das griechische Mädchen auffinden könnte, herausstellen würde, wie das Unrecht, das ihr und ihrem Bruder widerfahren war, gerächt wurde.
Das Marineabkommen
Der Juli nach meiner Hochzeit ist bemerkenswert durch drei interessante Fälle, bei denen ich den Vorzug genoß, Sherlock Holmes helfen zu dürfen und seine Methoden studieren zu können. Die Fälle sind in meinen Notizen unter den Titeln ›Das Abenteuer um den zweiten Fleck‹, ›Das Abenteuer um das Marineabkommen‹ und ›Das Abenteuer mit dem müden Kapitän‹ verzeichnet. Im ersteren Falle geht es um Vorkommnisse von solcher Tragweite, und so viele hochstehende Familien des Königreichs sind darein verwickelt, daß es noch für Jahre unmöglich sein wird, ihn an die Öffentlichkeit zu bringen. Und doch weiß ich keinen anderen unter Sherlock Holmes’ Fällen, der so deutlich den Wert seiner analytischen Methoden zeigte, und
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