Die Menschenleserin
sich nicht von ihm kontrollieren und wird dadurch zu einer Bedrohung. Und er hat ständig gesagt: ›Bedrohungen müssen ausgeschaltet werden.‹«
»Kontrolle«, sagte Dance. »Mit diesem Wort ist Daniel Pell ziemlich umfassend beschrieben, nicht wahr?«
Zumindest in diesem Punkt ihrer gemeinsamen Vergangenheit schienen die drei Familienmitglieder sich einig zu sein.
... Vierunddreißig
Der Deputy des MCSO saß in seinem Streifenwagen und behielt aufmerksam die Umgebung im Blick: die Grundstücke, die Bäume, die Gärten, die Straße.
Wachdienst – das war der bei weitem langweiligste Teil des Polizeiberufs, dicht gefolgt von Beschattungen, aber da konnte man sich wenigstens halbwegs sicher sein, dass die Zielperson irgendwie Dreck am Stecken hatte. Und das wiederum bedeutete, dass man eventuell die Gelegenheit erhielt, den Schlagstock zu ziehen und ein paar Schädel zu verbeulen.
Dass man etwas zu tun bekam.
Aber den Babysitter für Zeugen und andere Menschenfreunde zu spielen – vor allem, wenn die Bösen nicht einmal wussten, wo die Guten steckten -, war nur zu langweilig.
Man holte sich dabei bloß einen wunden Hintern und wunde Füße und musste sorgfältig die Balance zwischen Kaffeekonsum und Pinkelpausen wahren, damit …
»Oh, verdammt«, murmelte der Deputy. Hätte er nur nicht daran gedacht. Nun musste er plötzlich pinkeln.
Konnte er es riskieren, sich in die Büsche zu schlagen? Keine gute Idee, wenn man berücksichtigte, was für eine Gegend das hier war. Er würde darum bitten müssen, die Toilette drinnen benutzen zu dürfen. Zuerst würde er eine schnelle Runde drehen, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war, und dann würde er an die Tür klopfen.
Er stieg aus dem Wagen, ging die Straße hinunter und sah hinter die Bäume und Sträucher. Immer noch nichts Außergewöhnliches. Nur das für diese Umgebung Übliche: Eine Limousine fuhr langsam vorbei, und der Fahrer hatte tatsächlich eine dieser Schirmmützen auf, wie man sie sonst nur in Filmen zu sehen bekam. Eine Hausfrau auf der anderen Straßenseite ließ den Gärtner die Blumen neu anordnen, die er unter ihrem Briefkasten einpflanzen wollte, und der arme Kerl war ganz frustriert wegen ihrer Unentschlossenheit.
Die Frau blickte auf, sah den Deputy und nickte ihm zu.
Er nickte zurück und stellte sich vor, sie würde zu ihm herüberkommen und sagen, dass sie total auf Männer in Uniform abfuhr. Der Deputy hatte von Cops gehört, die Verkehrssünderinnen anhielten und von ihnen aufgefordert wurden, das »Bußgeld« hinter einer Baumreihe am Highway oder auf der Rückbank des Streifenwagens zu kassieren (in manchen Versionen war auch von den Sitzen der Harley-Davidsons die Rede). Aber das waren immer nur Ich-kenne-jemanden-der-jemanden-kennt-Geschichten. Seinen Freunden war so was noch nie passiert. Außerdem fürchtete er, dass er vor Schreck keinen hochbekäme, falls eine Frau – und sei es die scharfe Braut da drüben – ihm eine schnelle Nummer vorschlagen würde.
Was ihn erneut an seine untere Körperregion und damit an seine volle Blase erinnerte.
Dann bemerkte er, dass die Frau winkte und auf ihn zukam. Er blieb stehen.
»Ist alles in Ordnung, Officer?«
»Ja, Ma’am.« Ganz unverbindlich.
»Sind Sie wegen des Wagens hier?«, fragte sie.
»Was für ein Wagen?«
»Da hinten.« Sie streckte den Arm aus. »Vor ungefähr zehn Minuten habe ich gesehen, wie jemand dicht hinter den Bäumen geparkt hat. Das kam mir ein wenig komisch vor. Wissen Sie, es gab hier in letzter Zeit ein paar Einbrüche.«
Beunruhigt ging der Deputy ein Stück in die angezeigte Richtung. Er sah Chrom oder Glas durch die Büsche schimmern. Wenn jemand so weit abseits der Straße parkte, dann um sich zu verstecken.
Pell, dachte er.
Er griff nach der Waffe und ging noch einen Schritt weiter.
Wschhhhh.
Er drehte sich nach dem seltsamen Geräusch um. Im selben Moment traf die Schaufel des Gärtners ihn mit dumpfem Knall an Schulter und Nacken.
Ein Ächzen. Der Deputy ging in die Knie. Vor seinen Augen tanzten mattgelbe Lichter und schwarze Explosionen. »Bitte, nein!«, flehte er.
Aber als Reaktion erhielt er lediglich einen weiteren und diesmal gezielteren Schlag mit der Schaufel.
Daniel Pell in seiner schmutzigen Gärtnerverkleidung zerrte den Cop ins Gebüsch, wo man ihn nicht sehen konnte. Der Mann war nicht tot, nur betäubt und verletzt.
Dann zog er dem Deputy schnell die Uniform aus, schlüpfte selbst hinein und krempelte
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