Die Menschenleserin
Nachricht.
»Das vorhin am Telefon war Sam, nicht wahr?«, fragte Pell nun.
Der vermeintliche Deputy, der die Frauen vor einer halben Stunde angerufen hatte, war Pell gewesen. Zuvor hatte er mit Rebecca vereinbart, dass er – falls nicht sie selbst am Apparat war – darum bitten würde, die Schlösser an den Fenstern zu überprüfen. Das bedeutete, er würde demnächst eintreffen, und Rebecca solle zu dem Aussichtspunkt gehen und dort auf ihn warten.
»Sie hat nichts gemerkt. Das arme Ding ist immer noch eine kleine Maus. Sie kriegt einfach nichts mit.«
»Ich will so schnell wie möglich von hier weg, Liebling. Wie sieht es zeitlich aus?«
»Es wird nicht mehr lange dauern.«
»Ich habe Dances Adresse«, sagte Pell.
»Übrigens, das dürfte dich interessieren. Ihre Kinder sind nicht zu Hause. Sie hat nicht gesagt, wo sie sich aufhalten, aber ich habe im Telefonbuch einen Stuart Dance gefunden – vermutlich ihr Vater oder Bruder. Ich schätze, sie sind bei ihm. Ach, und sie werden von einem Cop bewacht. Einen Ehemann gibt es nicht.«
»Sie ist Witwe, nicht wahr?«
»Woher weißt du das?«
»Einfach so. Wie alt sind die Kinder?«
»Keine Ahnung. Spielt es eine Rolle?«
»Nein. Ich bin bloß neugierig.«
Rebecca trat ein Stück zurück und musterte ihn. »Für einen Fremden ohne Papiere siehst du verdammt gut aus. Ehrlich.« Sie schlang ihre Arme um ihn. Die Nähe ihres Körpers und die nach Seetang und Kiefern duftende Luft trugen noch zu seiner ohnehin geweckten Erregung bei. Er legte seine Hand auf ihren Rücken. Der Druck in ihm nahm zu. Pell küsste sie gierig und schob ihr die Zunge in den Mund. »Daniel... nicht jetzt. Ich muss zurück.«
Aber Pell hörte kaum, was sie sagte. Er führte sie tiefer in den Wald, legte ihr die Hände auf die Schultern und wollte sie nach unten drücken. Rebecca hielt einen Finger hoch. Dann legte sie ihren Block mit der Pappe nach unten auf den feuchten Boden und kniete sich darauf. »Sonst würden die sich fragen, woher ich nasse Knie habe.« Sie öffnete den Reißverschluss seiner Jeans.
Typisch Rebecca, dachte er. Stets vorausschauend.
Michael O’Neil rief endlich an.
Dance war froh, seine Stimme zu hören, obwohl der Tonfall rein dienstlich blieb, und sie wusste, dass er nicht über den Streit sprechen wollte. Sie spürte, dass er immer noch wütend war. Was ihm nicht ähnlich sah. Es beunruhigte sie, aber in Anbetracht seiner Neuigkeiten blieb keine Zeit, sich deswegen Gedanken zu machen.
»Die CHP hat sich bei uns gemeldet«, sagte O’Neil. »Ein paar Wanderer auf halbem Weg nach Big Sur sind am Strand auf eine Handtasche und einige persönliche Gegenstände gestoßen. Sie gehören Jennie Marston. Eine Leiche haben wir noch nicht, aber überall auf dem Sand war Blut. Die Spurensicherung hat außerdem einen Stein mit Blut, Haaren und einem Stück Kopfhaut gefunden. Auf dem Stein sind Pells Fingerabdrücke. Die Küstenwache hat zwei Boote auf die Suche geschickt. In der Handtasche war nichts, das uns weitergeholfen hätte. Führerschein und Kreditkarten. Falls sie auch die neuntausendzweihundert Dollar bei sich hatte, dürfte Pell nun das Geld haben.«
Er hat sie umgebracht …
Dance schloss die Augen. Pell hatte Jennies Bild im Fernsehen gesehen und gewusst, dass man sie identifiziert hatte. Sie war für ihn zu einem Risiko geworden.
Ein zweiter Verdächtiger erhöht die Aussicht auf Entdeckung und Festnahme exponentiell ...
»Es tut mir leid«, sagte O’Neil. Er hatte erkannt, was sie dachte – dass Dance nie damit gerechnet hätte, die Freigabe des Fotos der Frau könnte zu ihrer Ermordung führen.
Ich habe geglaubt, es wäre bloß eine zusätzliche Möglichkeit, diesen furchtbaren Mann eventuell aufzuspüren, dachte sie.
»Die Entscheidung war richtig«, sagte der Detective. »Wir mussten es tun.«
Wir , registrierte sie. Nicht du .
»Wie lange ist es her?«
»Die Spurensicherung schätzt, ungefähr eine Stunde. Wir suchen am Eins und auf den Querstraßen, aber bislang gibt es keine Zeugen.«
»Danke, Michael.«
Dann wartete sie, dass er noch etwas sagen würde, etwas über ihre frühere Diskussion, etwas über Kellogg. Egal was, nur ein paar Worte, die ihr eine Möglichkeit gegeben hätten, das Thema anzuschneiden. Aber er sagte lediglich: »Ich bereite eine Gedenkfeier für Juan vor. Du erhältst rechtzeitig Bescheid.«
»Danke.«
»Tschüs.«
Klick .
Sie brachte Kellogg und Overby telefonisch auf den neuesten Stand. Ihr Chef
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