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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Tür. Auf dem Flur standen Albert Stemple und TJ.
    Sie schaute zu den beiden, seufzte und nickte.
    Der massige, kahl geschorene Kollege betrat das Büro, dicht gefolgt von TJ.
    Beide Männer zogen ihre Pistolen – Dance brachte es einfach nicht übers Herz -, und binnen weniger Sekunden war Winston Kellogg entwaffnet und mit Handschellen gefesselt.
    »Was, zum Teufel, soll das?«, tobte er.
    Dance beantwortete die Frage und war überrascht, wie ruhig ihre Stimme klang, als sie sagte: »Winston Kellogg, ich verhafte Sie wegen Mordes an Daniel Pell.«

...Neunundfünfzig

    Sie saßen in Raum 3, dem von Dance bevorzugten Verhörzimmer der CBI-Dienststelle in Monterey. Es war etwas größer als das andere (das Raum 1 hieß; einen Raum 2 gab es nicht). Und die verspiegelte Scheibe war etwas blanker. Es besaß außerdem ein kleines Fenster, und wenn der Vorhang geöffnet war, konnte man draußen einen Baum sehen. Dance benutzte diesen Ausblick manchmal, um die Befragten abzulenken oder ihnen Reaktionen zu entlocken. An diesem Tag war der Vorhang geschlossen.
    Dance und Kellogg waren allein. Hinter dem Spiegel stand eine Videokamera und zeichnete alles auf. Auch TJ und Charles Overby waren dort verborgen, wenngleich der Spiegel natürlich auf zusätzliche Beobachter schließen ließ.
    Winston Kellogg hatte auf einen Anwalt verzichtet und war bereit zu reden. Was er mit schaurig ruhiger Stimme tat (in praktisch dem gleichen Tonfall wie Daniel Pell während des Verhörs, dachte Dance beunruhigt). »Kathryn, schalten wir doch mal einen Gang zurück, ja? Ginge das? Ich weiß nicht, was Sie vermuten, aber dies ist nicht der geeignete Weg, damit umzugehen. Glauben Sie mir.«
    Hinter diesen Worten steckte Arroganz – und, als logische Folge, ein Verrat. Sie bemühte sich, den Schmerz zu verdrängen, und erwiderte einfach: »Lassen Sie uns anfangen.« Dann setzte sie die Brille mit dem schwarzen Gestell auf, die »Raubtierbrille«.
    »Vielleicht liegen Ihnen irgendwelche falschen Informationen vor. Warum verraten Sie mir nicht, worin das angebliche Problem besteht, und dann sehen wir ja, was wirklich los ist?«
    Als würde er mit einem Kind reden.
    Sie musterte Winston Kellogg eingehend. Das ist ein Verhör wie jedes andere, ermahnte sie sich. Obwohl es das natürlich nicht war. Hier saß ein Mann, der sie persönlich belogen und zu dem sie sich hingezogen gefühlt hatte. Jemand, der sie benutzt hatte, genau wie Daniel Pell es bei... nun ja, allen Leuten getan hatte.
    Dann schob sie ihre eigenen Gefühle beiseite, so schwierig das auch sein mochte, und konzentrierte sich auf die bevorstehende Aufgabe. Sie würde seinen Widerstand brechen. Und nichts konnte sie davon abhalten.
    Weil sie ihn mittlerweile gut kannte, ging die Analyse schnell vonstatten.
    Erstens, welchen Status besitzt er bei dem fraglichen Verbrechen? Er ist ein Mordverdächtiger.
    Zweitens, hat er ein Motiv zu lügen? Ja.
    Drittens, was für eine Persönlichkeit ist er? Extrovertiert, denkend, beurteilend. Ich kann ihn so hart rannehmen wie nötig.
    Viertens, was für eine Lügnerpersönlichkeit ist er? Ein Machiavellist. Er ist intelligent, hat ein gutes Gedächtnis, beherrscht die Methoden der Täuschung und wird all diese Fähigkeiten einsetzen, um zum eigenen Vorteil zu lügen. Falls er dabei ertappt wird, gibt er die Lüge auf und benutzt andere Waffen, um die Schuld abzuwälzen, Drohungen auszustoßen oder Angriffe zu starten. Er wird beleidigend und gönnerhaft auftreten, um mich zu zermürben und meine eigenen Emotionen auszunutzen – ein dunkles Spiegelbild meiner Arbeit als Verhörspezialistin. Er wird versuchen, an Informationen zu gelangen, die er später gegen mich verwenden kann.
    Bei Machiavellisten war größte Vorsicht geboten.
    Der nächste Schritt der kinesischen Analyse würde die Bestimmung der Stressphase sein, in der er sich bei seinen Lügen befand – Wut, Verleugnung, Niedergeschlagenheit oder Aushandelnwollen -, und die Vertiefung des jeweiligen Gesprächsthemas, sobald Kathryn eine Unwahrheit auffiel.
    Aber hier kam das Problem. Sie war eine der besten Kinesik-Expertinnen des Landes, und doch hatte sie Kelloggs Lügen nicht bemerkt, die er sowohl ihr selbst als auch anderen in Dances Gegenwart aufgetischt hatte. Er griff größtenteils nicht zu direkten Unwahrheiten, sondern wich lieber aus – und das Zurückhalten einer Information ist die Art von Täuschung, die sich am schwierigsten entdecken lässt. Noch wichtiger jedoch war, dass

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