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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Kellogg ihrer Meinung nach zu den seltenen Individuen gehörte, die nahezu immun gegen kinesische Analytiker und Lügendetektor-Spezialisten sind: ganz besondere Täter, wie Geisteskranke und Serienmörder.
    Auch Eiferer fallen in diese Kategorie.
    Und für einen solchen hielt sie Winston Kellogg inzwischen. Nicht wie ein Kultführer, aber ebenso fanatisch und gefährlich – ein Mann, der von der Rechtschaffenheit seines Handelns überzeugt war.
    Dennoch musste sie ihn knacken. Sie wollte zur Wahrheit vordringen, und um das zu tun, musste Dance die Stresssignale erkennen, die ihr die nächsten Ansatzpunkte verraten würden.
    Also griff sie an. Hart und schnell.
    Sie holte ein digitales Diktiergerät aus der Handtasche, stellte es zwischen ihnen auf den Tisch und drückte die Abspieltaste.
    Man hörte das Freizeichen eines Telefons.
»Technik, Rick Adams am Apparat.«
»Mein Name ist Kellogg, aus der Neunten Straße. MVCC.«
»Guten Tag, Agent Kellogg. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin bei Ihnen in der Gegend und habe ein Problem mit
meinem Computer. Es geht um eine geschützte Datei. Der
Kerl, der sie mir geschickt hat, kann sich nicht mehr an das
Passwort erinnern. Es ist ein Rechner mit Windows XP.«
»Klar, kein Problem. Ich kümmere mich darum.«
»Ich würde mit so einem privaten Anliegen lieber nicht auf
Ihre Abteilung zurückgreifen. In der Zentrale wird das gar
nicht gern gesehen.«
»Tja, es gibt in Cupertino eine gute Firma, an die wir auch
manchmal Aufträge vergeben. Aber die sind nicht billig.«
»Sind sie schnell?«
»Bei so einer Datei? Aber ja.«
»Prima. Bitte geben Sie mir die Telefonnummer.«
    Dance schaltete das Diktiergerät ab.
    »Interessant«, sagte Kellogg und neigte den Kopf. »Das klingt wie jemand, der meine Stimme nachmacht.« Er blieb ruhig.
    Er ist gut, dachte sie, obwohl die Pause zwischen seinem ersten Wort und dem Rest sie vermuten ließ, dass er angestrengt nachdachte, während er sich eine glaubhafte Reaktion zurechtlegte.
    »Die Stimmanalyse wird in einigen Stunden vorliegen«, sagte sie.
    »Oh, die kann man fälschen. Es gibt entsprechende Untersuchungen... Wer würde mich wohl in Misskredit bringen wollen?, frage ich mich. Wissen Sie, ich habe einen Haufen Feinde.«
    »Winston, Pell hat nichts über Nimue oder Selbstmorde geschrieben. Ich habe die Datei gestern Abend selbst angelegt.«
    Er konnte sie nur anstarren.
    »Nimue war eine falsche Fährte«, sagte sie. »Es gab nichts Diesbezügliches in Jennies Computer, bis ich es dort platziert habe. TJ hatte zwar einen Verweis auf Nimue gefunden, aber das war lediglich ein Zeitungsartikel über eine Frau namens Alison Sharpe. Ein Interview in einem Lokalblatt in Montana – ›Mein Monat mit Daniel Pell‹, irgendwie so was. Die beiden haben sich vor ungefähr zwölf Jahren in San Francisco kennengelernt, wo sie unter dem Namen Nimue in einer Gruppe lebte, die ähnlich wie Pells spätere Familie war. Der Anführer benannte seine Leute nach Gestalten der Artus-Legende. Alison und Pell trampten kreuz und quer durch den Staat, aber sie verließ ihn, nachdem er in Redding unter Mordverdacht verhaftet worden war. Pell kannte vermutlich nicht ihren Nachnamen und hat daher nach den einzigen beiden Namen gesucht, die er kannte, nämlich Alison und Nimue. Er hatte wahrscheinlich vor, die Frau aufzuspüren und zu töten, weil sie wusste, wo sein Berggipfel lag.«
    »Also haben Sie die Datei gefälscht und mich gebeten, bei ihrer Entschlüsselung behilflich zu sein. Warum die Maskerade, Kathryn?«
    »Das werd ich Ihnen sagen. Wissen Sie, die Körpersprache beschränkt sich nicht nur auf die Lebenden. Man kann auch aus der Haltung eines Leichnams eine Menge entnehmen. TJ hat mir gestern Abend alle Akten des Falls für den Abschlussbericht gebracht, darunter auch die Tatortfotos vom Point Lobos Inn und dem Strand. Irgendetwas stimmte da nicht. Pell war nicht hinter den Felsen versteckt, sondern lag im Freien auf dem Rücken. Seine Beine waren gebeugt, und an seinen feuchten Knien haftete Sand. An beiden Knien, nicht bloß an einem. Das war seltsam. Man duckt sich, wenn man in Deckung geht, oder behält zumindest einen Fuß auf dem Boden. Ich hatte exakt die gleiche Körperhaltung schon bei einem anderen Fall gesehen. Es ging dabei um einen Mann, der von einer Bande hingerichtet worden war; bevor man ihn erschossen hat, musste er sich hinknien und um Gnade betteln. Wieso sollte Pell seine Deckung verlassen, auf beide Knie

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