Die merkwuerdigen Faelle des Dr. Irabu
»Wer diesmal wohl gewinnt, hihihi.« Sie schien sich köstlich über die Bürgermeisterwahl zu amüsieren.
Da Irabu nicht Bescheid wusste, erklärte Ryōhei ihm den Sachverhalt.
»Aha«, antwortete Irabu, ohne sonderlich Interesse zu zeigen.
»Was ich fragen wollte: Welchen Kandidaten unterstützt eigentlich der Seniorenverein?«, fragte Ryōhei die alte Frau. Muroi hatte ihm gesagt, sie würden jedes Mal einem anderen Kandidaten die Stimme geben.
»Das entscheide ich ganz zum Schluss«, antwortete die alte Frau nun mit überraschend fester Stimme. »Wir halten das immer so«, fügte sie mit vielsagendem Lachen hinzu.
»Hört mal! Da draußen is’ was los! Gleich kommt die Wahlkampfkolonne hier vorbei.«
Von der Straße hörte man lautes Geschrei aus den Lautsprechern der Wagen. Die Namen Ogura und Yagi waren zu vernehmen, offensichtlich kamen sie also zur selben Zeit hier vorbei.
Die Alten verließen einer nach dem anderen das Wartezimmer und gingen nach draußen. Auch die Alte, die gerade erst eine Injektion erhalten hatte, humpelte hinterher.
»Herr Doktor, Frau Krankenschwester, Herr Miyazaki! Sie auch!«, wurden die drei nach draußen gewunken.
Alle Patienten hatten sich auf dem Rasen vor dem Eingang versammelt und standen in gespannter Erwartung da. Man hörte, wer aus welcher Richtung kam. Von rechts kam die Kolonne der Ogura-Fraktion, von links Yagis Wahlkampftross. Ununterbrochen wurden ihre Namen gebrüllt. Doch anders als Ryōhei das bisher gewohnt war, tönte aus den Lautsprechern ein
so ohrenbetäubendes Geschrei wie von dem Festwagen einer Parade. Die Alten reckten die Hälse.
»Yama übernimmt Ogura, O-Kyō zählt die von Yagi!«, sagte einer der Alten. Endlich kamen die beiden Kolonnen in Sicht.
»Takeshi Ogura! Takeshi Ogura!«, ertönte es auf der einen, »Osamu Yagi! Osamu Yagi!«, auf der anderen Seite in voller Lautstärke. Sofort überlagerte sich das Gebrüll, so dass in ihrer Nähe ein einziger Lärmstrudel entstand.
Hinter dem Lautsprecherwagen folgten einige Pkws, so dass alle Fahrzeuge zusammen eine regelrechte Parade bildeten. In den Autos saßen Inselbewohner. Als die Kolonnen das Behandlungszentrum passierten, begannen die Alten zu zählen: »Eins, zwei, drei …«
»Hey, ihr Ogura-Pudel! Glaubt ja nicht, dass der Mond euch ewig heimleuchtet!«, brüllte es aus dem Lautsprecher des Yagi-Lagers.
»Riskiert nur ja’ne dicke Lippe, ihr Verlierer. Ihr werdet auch diesmal mit dem Kopf kürzer dastehen!«, schrie der Lautsprecher von der Ogura-Fraktion zurück.
Ryōhei fehlten die Worte. Auf dem Festland war es Sitte, gegenseitiges Anstacheln zu vermeiden, wenn sich Wahlkampfwagen trafen. Nur die Rechtsradikalen hielten sich nicht daran. Aber hier auf der Insel beschimpfte und beleidigte man sich gegenseitig wie bei einer Schlacht im tiefsten Mittelalter.
Im letzten Wagen der Yagi-Kolonne saß der Leiter der Stadtreinigung, Kobayashi. »Miyazaki! Wir zählen auf dich«, rief er mit lauter Stimme.
Reflexartig grüßte Ryōhei ihn zurück, als sich sein Blick mit dem aus der Gegenrichtung kommenden Isoda kreuzte, der ihn finster anschaute. Ryōhei fragte sich in diesem Augenblick nicht, warum ein Beamter während der Dienstzeit an einer Wahlkampfveranstaltung teilnehmen konnte. Hier war eben
alles anders. Später würde er sich wohl von Isoda einiges anhören müssen, dachte er deprimiert. In dem gestern aufgenötigten Briefumschlag waren dreihunderttausend Yen gewesen, die auch jetzt noch in seinem Rucksack lagen, den er mit ins Büro nahm.
»Ogura hat sieben.«
»Yagi auch.«
»Mann, schon wieder ein offenes Rennen.«
Die Alten kommentierten angeregt das Schauspiel vor ihnen.
»Was meinen Sie damit?«, fragte Ryōhei.
»Die Anzahl der Autos. Bei den Wahlen hier folgten die Leute dem Lautsprecherwagen ihres Kandidaten. Seit jeher sind Wahlen bei uns ein Prestigewettkampf«, erklärte ein alter Mann.
»Wir warten ganz bis zum Schluss«, fuhr die Frau von vorhin fort, »und setzen dann auf das Pferd, das zuerst in die Zielgerade geht. Bei der letzten Wahl ham wir für Ogura gestimmt, der uns’ne Dauerfreikarte für das Linienboot zugesichert hatte.«
Ryōhei bekam fast einen Schwächeanfall. Auf dieser Insel war Gerechtigkeit im Wahlkampf ein Fremdwort.
»Hmm, interessant«, meinte Irabu, der sich das Spektakel betrachtete.
»Herr Doktor, seien Sie nur froh, dass Sie hier nicht gemeldet sind. Ich bin auch erst vor kurzem hierher versetzt worden… Ach ja, würden
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