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Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Titel: Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Pharao diese Karaffe in Händen hält, werden die Galeeren und Sonnenbarken zuschlagen.«
    Merle spürte eine Bewegung an ihrer rechten Seite. Sie schaute sich um, doch Serafin war zu weit entfernt. Dennoch - etwas bewegte sich an ihrer Hüfte! Eine Ratte? Die Wahrheit wurde ihr erst bewusst, als es bereits zu spät war.
    Der Wasserspiegel war wie etwas Lebendiges aus der Tasche ihres Kleides geglitten, mit ruckartigen, unbeholfenen Bewegungen wie ein erblindetes Tier. Dann ging alles rasend schnell. Merle wollte den Spiegel packen, doch er schoss unter ihrer Hand hindurch, rutschte auf die Kante im Boden zu, glitt darüber hinaus - und fiel.
    In einem langen Augenblick, wie festgefroren in der Zeit, sah Merle, dass die Oberfläche des Spiegels milchig geworden war, vernebelt von der Präsenz des Schemens.
    Der Spiegel stürzte in die Tiefe, unerreichbar für Merles ausgestreckte Hand, fiel genau auf den Gesandten zu, verfehlte seine Kapuze, schlug gegen seine Hand und prellte ihm die Kristallkaraffe aus den Fingern. Der Mann heulte auf, vor Schmerz, vor Wut, vor Überraschung, während Spiegel und Karaffe fast gleichzeitig am Boden aufkamen.
    »Nein!« Serafins Schrei ließ die drei Ratsherren auseinander spritzen wie Tropfen heißen Fetts. Mit einem wagemutigen Satz schwang er sich über den Rand und sprang mitten unter sie. Merle blieb keine Zeit, über diese plötzliche Verkettung von Katastrophen nachzudenken. Sie folgte Serafin in die Tiefe, mit flatterndem Kleid und einem lauten Brüllen, das grimmig klingen sollte, vermutlich aber alles andere war als das.
    Der Gesandte wich ihr aus. Ihre Füße hätten sonst seinen Kopf getroffen. Hastig bückte er sich und versuchte, die Karaffe aufzuheben. Seine Finger aber griffen an dem Kristallgefäß vorbei und streiften den Wasserspiegel. Für den Bruchteil eines Augenblicks zerfurchten seine Fingerspitzen die Oberfläche, verschwanden darunter - und waren fort, als der Gesandte seine Hand mit einem Schmerzensschrei zurückriss. Statt ihrer waren da schwarze Knochensplitter, die aus den Resten seiner Finger ragten, rauchend und verbrannt, als hätte er seine Hand in ein Säurefass gesteckt.
    Ein irrsinniges Kreischen drang unter der Kapuze hervor, unmenschlich, weil es kein Gesicht zu geben schien, keinen Mund, aus dem die Schreie quollen.
    Serafin schlug auf beiden Händen ein Rad, beinahe zu schnell für das Auge. Als er neben dem Fenster zum Stehen kam, hielt er in der Rechten die Karaffe und in der Linken Merles Spiegel.
    Derweil hatte der Rat in Purpur, der Wortführer der Verräter, Merle am Oberarm gepackt und wollte sie herumreißen. Mit geballter Faust holte er zum Schlag aus, während die beiden anderen Räte wie aufgescheuchte Hennen umherliefen und lautstark nach ihrer Leibgarde brüllten. Merle wich blitzschnell aus und konnte auch die Hand an ihrem Arm abschütteln, prallte dabei jedoch mit dem Rücken gegen schwarzen Stoff. Die Robe des Gesandten. Gestank von verbranntem Fleisch umgab ihn.
    Ein scharfer Luftzug zischte durch die Zwischenräume des vernagelten Fensters: Draußen vor dem Haus landeten fliegende Löwen. Stahl schrammte über Stahl, als Säbel aus ihren Scheiden gerissen wurden.
    Ein Arm legte sich von hinten um Merle, aber sie tauchte darunter hinweg wie schon in so vielen Keilereien im Waisenhaus. Sie hatte Erfahrung darin, wie man sich schlug, und sie wusste, was sie treffen musste, damit es wehtat. Als Rat de Angeliis sich ihr in den Weg stellte, platzierte sie einen gezielten Tritt. Der fette Mann in der Scharlachrobe brüllte wie am Spieß und hielt sich mit beiden Händen den Unterleib.
    »Raus hier!«, rief Serafin und hielt die beiden übrigen Räte in Schach, indem er drohte, die Karaffe am Boden zu zerschmettern - was immer das bewirken mochte.
    Merle stürmte auf ihn zu und lief an seiner Seite zum Ausgang. Sie bogen in den Flur, gerade in jenem Moment, als die Haustür aufgestoßen wurde und zwei Leibgardisten in schwarzem Leder hereinpolterten.
    »Beim Uralten Verräter!«, fluchte Serafin.
    Verdutzt blieben die Soldaten stehen. Sie hatten mit einer List der Ägypter gerechnet, mit Männern, bis an die Zähne bewaffnet, würdigen Gegnern für zwei kampfgeschulte Recken der Garde. Stattdessen sahen sie ein Mädchen in ärmlichem Kleid und einen Jungen, der zwei glänzende Gegenstände in den Händen hielt, die keineswegs wie Klingen aussahen.
    Merle und Serafin nutzten das Überraschungsmoment. Ehe die Gardisten reagieren

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