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Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Titel: Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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nicht mal ein Mensch!«
    »Das bin ich auch nicht.«
    Merle erreichte stolpernd das Tor des Campanile. Es stand offen. »Hör zu«, keuchte sie erschöpft. »Ich wollte dich nicht beleidigen. Aber die Hölle…« Sie brach ab und schüttelte den Kopf. »Vielleicht bist du wirklich nicht Mensch genug, um das zu verstehen.«
    Damit gab sie sich einen Ruck und betrat den Turm.
    Merle war nur wenige Meter an Serafins Versteck vorbeigelaufen, doch er hatte sie nicht bemerkt. Seine Augen waren fest auf den Boten gerichtet. Auf den Boten – und auf die ständig wachsende Schar von Soldaten, die sich vor ihm versammelte.
    Auch der Teil des Platzes direkt vor der Markuskirche füllte sich nun mit Menschen. Sie waren von überall herbeigeströmt, um zu sehen, was vor sich ging. Manche mochten bereits gehört haben, dass ein Höllenbote aufgetaucht war, doch vermutlich hatten sie den Berichten keinen Glauben geschenkt. Jetzt erkannten sie die Wahrheit mit eigenen Augen.
    Serafin kämpfte noch immer gegen den Drang an, einfach fortzulaufen. Nur mit knapper Not war er den Kerkern entgangen, und mit jeder Minute, die er hier verbrachte, erhöhte sich die Gefahr, dass man ihn doch noch erkennen und festsetzen würde. Es war dumm, so dumm, sich hinter einem Blumenkübel zu verbergen, während die Garde nach ihm Ausschau hielt!
    Doch die Soldaten hatten im Augenblick andere Sorgen, und auch Serafin verdrängte die Gefahr, in der er schwebte. Er musste mit eigenen Augen sehen, wie diese Sache zu Ende ging, musste hören, was der Bote zu sagen hatte.
    Und noch etwas fiel ihm ins Auge: Drei Männer waren aus dem Palast getreten. Drei Räte in prächtigen Roben. Purpur und Scharlach und Gold. Die Verräter. Der Rat in Gold lief auf den Hauptmann der Garde zu und redete aufgeregt auf ihn ein.
    Die Flammen loderten einen Augenblick lang höher, liebkosten mit ihren Glutzungen den Leib des Boten und erhellten das Lächeln, das seine qualligen Züge teilte.
    »Ein Tropfen Blut«, rief er. »Denkt gut darüber nach, Bürger von Venedig! Nur ein Tropfen Blut!«
    Merle hetzte die Treppen des Campanile hinauf. Ihr Atem raste. Ihr Herz hörte sich an, als wollte es ihren Brustkorb sprengen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich zuletzt so angestrengt hatte.
    »Was weißt du über den Uralten Verräter?«, fragte die Fließende Königin.
    »Nur das, was alle wissen. Die alte Geschichte.«
    »Er war nie wirklich ein Verräter. Nicht so, wie es erzählt wird.«
    Merle hatte Mühe, Luft zu holen, zu sprechen; sogar das Zuhören bereitete ihr Probleme.
    »Ich werde dir erzählen, was wirklich geschehen ist. Damals, als aus Vermithrax der Uralte Verräter wurde«, fuhr die Fließende Königin fort. »Doch zuerst solltest du wissen, was er ist.«
    »Und… was… ist… er?«, keuchte Merle, während sie Stufe um Stufe nahm.
    »Vermithrax ist ein Löwe. Einer der alten.«
    »Ein… Löwe?«
    »Ein fliegender und sprechender Löwe.« Die Königin hielt kurz inne. »Zumindest war er das, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe.«
    Merle blieb vor Erstaunen stehen. Sie hatte schreckliches Seitenstechen. »Aber… aber Löwen sprechen nicht!«
    » Nicht jene, die du kennst. Aber früher, vor langer Zeit, viele Jahre vor der Auferstehung des Pharaos und dem Zeitalter des Mumienkriegs, konnten alle Löwen sprechen. Sie flogen höher und schneller als die größten Seeadler, und ihre Lieder waren schöner als die der Menschen und des Meervolks. «
    »Was ist geschehen?« Merle setzte sich wieder in Bewegung, aber mehr als ein müdes Vorwärtsschleppen brachte sie nicht zu Stande. Sie war immer noch pitschnass und völlig erschöpft, und obwohl sie schwitzte, zitterte sie am ganzen Leib.
    »Seit jeher waren die steinernen Löwen und das Volk von Venedig Verbündete. Keiner weiß mehr, wie sie ursprünglich hierher gelangt sind. Vielleicht waren sie Wesen aus einem fernen Winkel der Welt? Oder das Werk eines venezianischen Alchimisten? Es spielt keine Rolle. Die Löwen dienten den Venezianern als Kämpfer in vielen Kriegen, sie begleiteten ihre Schiffe auf den gefährlichen Handelsrouten vor Afrikas Küste, und sie schützten die Stadt mit ihrem Leben. Zum Dank schmückte ihr Antlitz bald alle Wappen und Flaggen der Stadt, und man gab ihnen eine der Inseln im Norden der Lagune als Heimstatt.«
    »Wenn die Löwen so stark und mächtig waren, warum haben sie sich dann keine eigene Stadt gebaut?« Merle konnte ihre Worte selbst kaum hören, so kraftlos

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