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Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Titel: Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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fuchtelte wild in Serafins Richtung. Auch seine Kameraden schauten jetzt auf und sahen ihren Gefangenen entkommen. Einer riss seine Waffe herum, legte an und feuerte. Die Kugel peitschte an Serafins Ohr vorüber. Bevor der Mann ein zweites Mal schießen konnte, übermannte ihn eine neue Welle der Übelkeit. Ein Zweiter feuerte, doch seine Kugel kam Serafin noch nicht einmal nahe. Weit vor seinem Ziel stanzte das Geschoss eine Kerbe ins Pflaster, ein goldener Krater im flackernden Schein des Feuers.
    Serafin rannte, so schnell er konnte, obwohl er bald außer Atem war. Trotzdem riss er sich den Knebel nicht herunter. Er stürmte auf die Markuskirche zu und wagte erst dort, sich umzudrehen. Niemand folgte ihm. Seine Bewacher waren mit sich selbst beschäftigt, einer stützte sich auf sein Gewehr wie auf einen Krückstock. Auch manche Händler kauerten am Boden, fern den Flammen, ihre Gesichter in den Händen vergraben. Andere hatten hinter den Säulen der Arkaden Schutz gesucht und starrten benommen zu dem lodernden Inferno hinüber, das ihren Besitz verzehrte.
    Abermals ertönte das Donnern, diesmal so laut, dass alle ihre Hände vor die Ohren schlugen. Serafin ging hinter einem Blumenkübel in Deckung, einem von vielen, die die Markuskirche flankierten. Gewiss wäre es vernünftiger gewesen, zu fliehen und in einer der Gassen unterzutauchen. Aber er konnte jetzt nicht davonlaufen. Er musste sehen, was weiter geschah.
    Im ersten Moment schien es, als stürzten alle brennenden Händlerstände auf einmal ineinander. Dann erst erkannte Serafin das wahre Ausmaß der Katastrophe.
    Zwischen den lodernden Ladenreihen, exakt entlang der Schneise, hatte sich der Boden aufgetan. Der Riss erstreckte sich über eine Länge von hundert, hundertzwanzig Schritten. Er war breit genug, um die Stände an seinen Rändern zu verschlingen.
    Serafin stockte der Atem, er war unfähig, an irgendetwas anderes zu denken, nicht einmal an seine Flucht. Die Gardisten waren zusammengeströmt, gleich vor dem Tor des Palastes, und dort standen sie wie eine aufgebrachte Herde Gänse, brüllten wild durcheinander und wedelten mit ihren Waffen, während ihr Hauptmann verzweifelt bemüht war, die Ordnung wieder herzustellen.
    Serafin kauerte sich tiefer hinter den Blumenkübel, bis nur noch seine Augen über den Rand hinwegschauten.
    Im Inneren des Risses loderte Feuer. Erst schien es gleichmäßig zu brennen, dann wanderte es allmählich von beiden Enden Richtung Mitte und zog sich dort zu einem unerträglich hellen Glutball zusammen.
    Aus dem Feuerschein schälte sich eine Gestalt.
    Sie schwebte aufrecht und trug um ihren Kopf etwas, das auf den ersten Blick wie ein Heiligenschein aussah. Der Anblick erinnerte an Christus-Darstellungen auf Altarbildern, Abbildungen, wie er nach seinem Tod gen Himmel fährt, die Hände huldvoll gekreuzt. Doch dann sah Serafin, dass die Gestalt das Gesicht eines Neugeborenen hatte, fleischig und verquollen. Der Heiligenschein entpuppte sich als eine Art kreisrundes Sägeblatt, mit Zacken so lang wie Serafins Daumen; es steckte im Hinterkopf des Wesens, schien verschmolzen mit Haut und Knochen. Die gekreuzten Hände waren riesenhafte Hühnerkrallen, grau und schuppig segmentiert. Der plumpe Leib der Kreatur lief nicht in Beinen aus, sondern in etwas Langem, Spitzem, das mit durchnässten Bandagen umwickelt war; es sah aus wie ein zitternder Reptilienschwanz, der durch die Stoffbahnen gehindert wurde, unkontrolliert umherzupeitschen. Die aufgeschwemmten Lider des Wesens glitten zurück wie Nacktschnecken und gaben pechschwarze Augäpfel frei. Auch die wulstigen Lippen öffneten sich, dahinter kamen spitz gefeilte Zähne zum Vorschein.
    »Die Hölle entbietet ihren Gruß«, ertönte die Stimme der Kreatur und klang dabei wie ein Kind, nur lauter, durchdringender. Sie hallte über den ganzen Platz.
    Die Gardisten brachten ihre Gewehre in Anschlag, doch der Höllenbote lachte sie aus. Er schwebte jetzt zwei Meter über dem feurigen Riss, und noch immer badeten ihn die Flammen in grellem Lodern. Winzige Feuerzungen tanzten an den Bandagen seines Unterleibs auf und ab, ohne den Stoff zu verbrennen.
    »Bürger dieser Stadt«, rief der Bote, so laut, dass seine Stimme sogar das Prasseln übertönte. »Meine Meister haben euch ein Angebot zu machen.« Grüner Speichel quoll aus seinen Mundwinkeln, verteilte sich in den Falten seines Doppelkinns, sammelte sich am Kropf und troff nach unten. Die Hitze der Flammen verdampfte die

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