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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gelassen.
    »Eklig.« Sie ließ die Kralle los und hielt sie nur noch an dem Lederband fest.
    »Es ist ein Glücksbringer«, erklärte die Königin.
    »Ach ja?«
    »Die Bewohner des Zarenreichs tragen sie. Du weißt doch, dass sie unter dem Schutz der Babajaga stehen, nicht wahr?«
    Merle nickte, obwohl ihr bewusst war, dass die Königin es nicht sehen, höchstens spüren konnte.
    Auf der anderen Seite des Plateaus schüttete Vermithrax mit den Vorderpranken eine weitere Kiste aus und stöberte mit der Nase darin herum.
    »Was weißt du über die Baba Jaga?«
    »Nicht viel. Sie ist eine Hexe. Oder so was Ähnliches.«
    Die Königin schmunzelte vernehmlich. »Eine Hexe. Eine Göttin. Die Menschen haben schon vieles in ihr gesehen. Fest steht, dass sie das Zarenreich schützt, so wie ich« - sie stutzte, als Schmerz und Schuldgefühle in ihr aufwallten und auf seltsame Weise auf Merle abfärbten -, »so wie ich Venedig beschützt habe.«
    »Kennst du sie? Persönlich, meine ich.«
    »Nein. Sie ist nicht wie ich. Zumindest vermute ich das. Aber worauf ich hinauswill: Die Baba Jaga hat seit jeher eine bestimmte Gestalt, mit der die Menschen sie identifizieren. Eine alte Frau, die in einem kleinen Haus lebt - aber dieses Haus steht auf zwei baumhohen Hühnerbeinen und kann darauf umherlaufen wie ein lebendes Wesen.«
    Merle schwenkte den Anhänger. »Dann ist das hier so eine Art Symbol?«
    »So ist es. Wie die Christen ein Kreuz tragen, um sich vor Bösem zu schützen, so tragen die Bewohner des Zarenreichs solch einen Hühnerfuß - zumindest diejenigen, die an den Schutz der Baba Jaga glauben.«
    »Aber das würde bedeuten -«
    »Dass dies die Überreste einer Expedition sind, die vom Zaren hierher geschickt worden ist.«
    Merle dachte darüber nach, was das bedeuten mochte. Die Armeen des Ägyptischen Imperiums hatten innerhalb weniger Jahrzehnte die ganze Welt überrannt - mit Ausnahme Venedigs und des Zarenreichs. Dennoch hatte es nie Kontakte zwischen beiden gegeben, zumindest keine, von denen das gemeine Volk erfahren hätte. Trotzdem erfüllte sie der Anblick des zerstörten Lagers mit einem merkwürdigen Gefühl von Verlust, so als sei hier eine wichtige Gelegenheit verpasst worden. Wie sah es im Zarenreich aus? Wie wehrte man sich dort gegen die Attacken des Imperiums? Und, nicht zuletzt, wie äußerte sich der Schutz der Baba Jaga? Alles Fragen, auf die sie hier vielleicht hätte Antworten finden können, wenn ihnen nicht jemand zuvorgekommen wäre.
    »Glaubt ihr, dass sie tot sind?« Merle stellte die Frage ganz bewusst sowohl an die Königin wie auch an Vermithrax.
    Der Löwe trottete behäbig herbei. »Das Zelt ist jedenfalls nicht mit einem Messer aufgeschlitzt worden. Dafür sind die Ränder zu grob und zerfasert.«
    »Krallen?«, fragte Merle und ahnte die Antwort bereits. Eine Gänsehaut kroch über ihre Unterarme.
    Vermithrax nickte. »Im Boden sind auch Spuren davon.«
    »Sie haben den Fels aufgekratzt?« Merles Stimme klang, als hätte sie etwas viel zu Großes heruntergeschluckt.
    »Ich fürchte, ja«, sagte der Löwe. »Ziemlich tief sogar.«
    Merles Blick glitt an den Pranken des Obsidianlöwen hinab und inspizierte den Boden. Seine eigenen Krallen hinterließen keine Spuren im Gestein. Was für Klauen mussten also erst die Wesen besitzen, denen die Zarenexpedition begegnet war?
    Dann wusste sie es. Die Antwort erhob sich aus ihrer Erinnerung wie das Haupt eines Schlafenden, der unverhofft erwacht war. »Lilim«, sagte sie unvermittelt.
    » Lilim?«, fragte die Königin.
    »Als Professor Burbridge vor sechzig Jahren die Hölle entdeckte und zum ersten Mal ihren Bewohnern über den Weg lief, hat er ihnen diesen Namen gegeben. Der Lehrer im Waisenhaus hat uns davon erzählt. Burbridge hat sie nach den Kindern Liliths benannt, der ersten Frau Adams.«
    Vermithrax legte den Kopf schräg. »Eine Menschenlegende?«
    Merle nickte. »Vielleicht die älteste von allen. Mich wundert, dass ihr sie nicht kennt.«
    »Jedes Volk und jede Rasse hat ihre eigenen Mythen und Geschichten über den Ursprung.« Der Obsidianlöwe klang beinahe ein wenig beleidigt. »Du kennst doch auch keine der alten Löwenlegenden.«
    »Ich weiß, wer Adam war«, sagte die Königin. »Aber von Lilith habe ich nie gehört.«
    »Adam und Lilith waren die beiden ersten Menschen, die Gott erschuf.«
    »Ich dachte, die Frau hieß Eva?«
    »Eva kam später. Erst einmal erschuf Gott Adam und Lilith, Mann und Frau. Sie waren allein im

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