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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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und starrte zur Friedhofsinsel hinüber, redete pausenlos vor sich hin und hatte die Finger zu Krallen gekrümmt; es sah aus, als wollte er sich damit die Augen auskratzen.
    Die anderen drängten sich im Zentrum des Schildkrötenpanzers dicht aneinander, und während die Meerjungfrauen stumm zurück an ihre Arbeit gingen und die Hornschale weiter nach Osten zogen, vom Ufer fort und dem offenen Meer entgegen, blickten die sechs Passagiere zur Insel.
    San Micheles Mauer hatte Risse bekommen. An vielen Stellen wankten breite Stücke und stürzten um, gefolgt von entwurzelten Zypressen, die sich wie schwarze Lanzenspitzen zur Seite neigten und ins Wasser bohrten. Die gesamte Insel schien auseinander zu brechen, gewaltige Spalten taten sich auf, und Meerwasser floss ins Innere, unterspülte Gräber und Kapellen und brachte den Glockenturm der Kirche zum Einsturz.
    Etwas, das unter der Insel gelegen hatte, unter den Gräbern und Grüften und dem kleinen Kloster, wurde von den Lichthaken des Sammlers ins Freie gezerrt, in einer Kette von Staubexplosionen und Wirbeln aus loser Erde. Etwas, das fast halb so groß war wie die Insel selbst.
    Der Leichnam eines Sphinx.
    Ein Sphinx, größer als jedes Lebewesen, von dem Serafin jemals gehört hatte. Größer als die Wale, größer als die Meerhexen in den Untiefen der Adria, größer sogar als die legendären Riesenkraken im Abgrund der Ozeangräben.
    Halb Löwe, halb Mensch, wenngleich beides verschoben wirkte, die Arme und Beine zu lang, das Gesicht zu klein, die Augen zu weit auseinander. Hände so groß wie Kriegsschiffe, mit zu vielen, zu langen Fingern, und Löwenpranken mit ausgefahrenen Krallen aus gelbem Horn und Knochen. Das Zerrbild eines Sphinx und doch von einer absurden Anmut, grässlich verzerrt, fast ein Spottbild und dennoch von einer grotesken Eleganz.
    Der riesenhafte Kadaver lag auf der Seite, das Gesicht der Stadt zugewandt, und schwebte der Unterseite des Sammlers entgegen, getragen von hunderten Haken aus Licht. Es war ein Kadaver, obwohl er keine Spuren von Verfall aufwies; es gab keinen Zweifel, dass er tot war, und das vielleicht schon seit Jahrtausenden.
    Was bewacht Lalapeja?, hatte Serafin Unke gefragt, erst vor wenigen Stunden.
    Was bewacht sie?
    Jetzt endlich sah er es vor sich, und er begriff, dass ihr Angriff auf den Palast, das Attentat auf den Pharao, nichts als ein Ablenkungsmanöver gewesen war. Etwas, das Lalapeja Zeit geben sollte, den Sammler zu zerstören und das Grab ihres Schützlings zu bewahren.
    Unke blickte zu Serafin herüber und legte ihre Hand auf seine, aber er wollte sich nicht beruhigen lassen.
    Boro war gestorben für einen toten Sphinx.
    Nein, verbesserte er sich: für einen toten Gott.
    Einen Gott der Sphinxe.
    Und mit diesem Gedanken, dieser Erkenntnis, brach er zusammen, und er weinte an Unkes Brust, sah, dass auch Lalapeja weinte, vielleicht aus anderen Gründen, und dann verschwand der Sphinxgott im Inneren des Sammlers, und irgendwie, durch einen Spalt in der Abwehr von Serafins Geist, kroch die Gewissheit, dass ihre Feinde nun über eine Waffe verfügten, die alles Dagewesene in den Schatten stellte.
    Doch im Augenblick spielte das keine Rolle. Im Augenblick zählte nur seine Verzweiflung.
    Lalapeja setzte sich neben ihn und ergriff seine Hand, aber sie fühlte sich kalt an und leblos, irgendwie tot.

Herzhaus

    Merle war allein, als sie erwachte.
    Ihre erste Bewegung galt dem Wasserspiegel in der Tasche ihres Kleides. Gut. Sie hatten ihn ihr nicht abgenommen. Sie spürte deutlich, wie sich das Oval durch den Stoff presste, als hätte es die Berührung ihrer Hand vermisst.
    Sie war nicht sicher, wie lange sie schon im Dunkeln lag, in einer beunruhigenden Stille, im Ohr nur das Pulsieren ihres Herzschlags und das Wispern ihrer eigenen, wirren Gedanken. Die Dunkelheit erwachte mit ihr, atmete mit ihr. Allein in völliger Finsternis, allein mit sich selbst. Tausend Fragen, tausend Zweifel und noch mehr Befürchtungen.
    Wo war Vermithrax? Was war aus Winter geworden?
    So allein.
    Dann erst dämmerte ihr, was so ungewöhnlich an diesem Alleinsein war. Sie spürte die Fließende Königin nicht mehr!
    » Ich bin da «, sagte die Stimme in ihrem Kopf und erschien ihr hundertmal lauter als sonst. »Mach dir keine Sorgen.«
    »Du hast nichts gesagt. Ich dachte, du wärst fort.«
    »Hätte dich das gefreut?«
    »Nicht hier.«
    »Oh, wenn es ernst wird, bin ich also gut genug.«
    »So hab ich das nicht gemeint, das weißt du

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