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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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genau.« Merle tastete mit ihren Händen über den Untergrund, auf dem sie lag. Kalter Stein, behauen, glatt geschliffen. Eine Kerkerzelle, vermutete sie. »Bringt sie ins Herzhaus«, hatte der alte Mann im Rollstuhl gesagt. Sie hatte sich darunter etwas anderes vorgestellt. Nein, genau genommen, hatte sie gar keine Vorstellung gehabt.
    »Du hast geschlafen. «
    »Wie lange?«
    »Schwer zu sagen. Ich habe zwar bestimmte Fähigkeiten, aber eine eingebaute Uhr ist nicht dabei.«
    Merle seufzte. »Seit wir hier unten sind… in der Hölle, meine ich… seitdem hab ich jedes Gefühl für Zeit verloren. Weil es nie dunkel wird. Sind wir jetzt einen Tag hier oder zwei, oder vielleicht auch eine Woche?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Dann sag mir, wo wir sind. Oder weißt du das auch nicht?«
    »Im Herzhaus, vermutlich.«
    »Ach?« Merle verdrehte im Dunkeln die Augen.
    Die Königin schwieg für einen Augenblick, dann sagte sie: »Den Rest werden wir gleich erfahren. Sie kommen, um uns abzuholen.«
    Merle wollte gerade fragen, woher die Königin das wusste, als sie dumpfe Schritte vernahm, dann das Knirschen eines Eisenriegels. Eine Lichtsäule stand plötzlich in der Dunkelheit, wurde breiter, öffnete sich zu einer Tür. Merkwürdige Silhouetten, zackig und voller Spitzen, erschienen im Rahmen, sahen aus wie exotische Pflanzen, vielarmige Kakteen vielleicht, schienen dann aber zu zerfließen und sich neu zusammenzusetzen. Möglicherweise geschah das auch nur in Merles Kopf, und, ja, der erste Anblick war wohl eine Täuschung, ein Bild, das die Angst für sie malte.
    Sie hatte sich gerade mit dem Gedanken abgefunden, als die Königin sagte: »Gestaltwandler.«
    »Du weißt wirklich, wie man anderen Mut macht.«
    »Ich hab gewusst, dass du irgendwann froh sein würdest, mich dabeizuhaben.«
    »In deinen Träumen.«
    »Ich kann nicht träumen. Nur wenn du träumst.«
    Eine Hand packte Merle, dann wurde sie durch die Tür ans Licht geführt, hinaus auf einen Gittersteg, der entlang einer Felswand verlief. Auf der einen Seite des Steges befanden sich in regelmäßigen Abständen Türen aus Stahl, auf der anderen gähnte ein Abgrund.
    Der Ausblick war erschütternd in seiner Weite. Offenbar befanden sie sich an der Innenseite der riesigen Kuppel, die sie beim Anflug auf Axis Mundi gesehen hatten. Die Felswand krümmte sich leicht, während sie sich nach oben fortsetzte. Hoch über Merle lösten sich ihre Konturen in rotgelbem Dunst auf. Gittersimse verliefen zu dutzenden daran entlang. Andere Stege führten frei schwebend über dem Abgrund in den glühenden Dunst hinaus, trafen dort auf weitere Stege, kreuzten sie oder vereinigten sich mit ihnen und bildeten so ein weites Netzwerk aus begehbaren Eisensträngen, unzählige Kilometer lang.
    Vom Boden der Kuppel strahlte rotgoldene Helligkeit herauf, vielfach gebrochen vom Dunst, der die Luft tränkte, sodass die eigentliche Lichtquelle nicht zu erkennen war. Es schien, als leuchtete der gesamte Grund der Kuppel, so als stünde sie über einem Lavasee. Aber Merle ahnte schon, dass die Lösung dieses Rätsels so einfach nicht war, denn von dem Licht ging keine Hitze aus. Selbst der Nebel, der in der Kuppel wogte, fühlte sich eher klamm und unangenehm an. Und noch etwas dämmerte Merle: Obwohl die Kuppel aus Felsgestein bestand, hatte es von außen so ausgesehen, als hätte sie das Licht ausgestrahlt. Die Helligkeit vom Boden musste demnach durch den Fels dringen, war zugleich aber nicht stark genug, um Merle zu blenden. Es war beinahe, als stecke das Licht in der Tiefe das Gestein mit seiner Leuchtkraft an, sodass die Kuppel aus sich selbst heraus erstrahlte.
    Es war eigenartig. Und durch und durch unwirklich.
    Dazu passten auch ihre neuen Begleiter. Die Gestaltwandler - so es denn tatsächlich welche waren - hatten sich bemüht, menschliche Gestalt anzunehmen. Und es war ihnen im Ansatz gelungen. Nicht die Gestalt irgendeines Menschen, sondern die von Winter - was umso ironischer war, als der doch von sich behauptet hatte, gar kein Mensch zu sein.
    Allerdings wirkten ihre Gesichter klobig, irgendwie unfertig, wie aufgequollen. Ihre Körper waren weiß, aber sie hatten sich nicht die Mühe gemacht, die Struktur oder Form von Winters Kleidung nachzuahmen. Auch ihre Augen sahen aus wie aufgemalt, blind wie die Pupillen toter Fische.
    Falls sie gehofft hatten, Merle durch diese abstruse Maskerade etwas von ihrer Furcht zu nehmen, hatten sie das genaue Gegenteil erreicht.
    Sie

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