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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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erahnen, musste aber über die Basis des Felsendoms hinausgehen. Der kreisförmige Gittersteg befand sich exakt über der Mitte dieser Wölbung, schwebte über ihrem höchsten Punkt; es gab keine Säulen oder Gerüste, allein die Stege hielten ihn in der Luft.
    »Das dort unten«, sagte Burbridge, »ist das Steinerne Licht.«
    »Sieht aus wie ein Stück vom Mond.« Sie stellte sich vor, dass jemand den Mond in Scheiben geschnitten hatte wie einen Laib Brot; danach hatte man eine der beiden äußeren Scheiben auf den Boden gelegt und darüber den Kuppeldom errichtet.
    Burbridge fuhr fort: »Denk dir eine gigantische leuchtende Kugel, die irgendwann vom Himmel gefallen ist, die äußere Kruste der Erde durchschlagen und sich hier unten in den Grund der Hölle gebohrt hat. Das, was du dort siehst, ist jener Teil von ihr, der noch aus dem Fels hervorschaut. Der Morgenstern. Luzifer, der gefallene Engel. Oder eben das Steinerne Licht.«
    »Haben Sie die Kuppel darüber bauen lassen?«
    »Gewiss.«
    »Warum? Was tut das Licht denn, außer zu leuchten?«
    Erstmals meldete sich wieder die Fließende Königin: »Spielst du jetzt immer noch die Naive, oder bist du’s
    wirklich?«
    Sei still, dachte Merle. Zu ihrer Überraschung gehorchte die Stimme ohne Widerspruch.
    Während sie weitergingen, immer tiefer hinab, dem Leuchten und dem runden Gittersteg entgegen, umschloss Burbridge mit einer Handbewegung das gesamte Innere der Kuppel. »Als ich zum ersten Mal hierher kam, war dieser Ort für die Lilim ein Heiligtum, das sie fürchteten. Keiner von ihnen wagte sich freiwillig auch nur in seine Nähe. Sie haben diesen Ort gemieden, so gut sie nur konnten. Erst ich habe ihnen gezeigt, wie man die Macht der Lichts nutzen kann.«
    »Aber Axis Mundi, die Stadt«, sagte Merle, »sie muss doch viel älter sein! Älter jedenfalls als die sechzig oder siebzig Jahre, seit Sie den Zugang zur Hölle entdeckt haben.« Noch während sie es aussprach, dämmerte ihr, wie alt Burbridge tatsächlich sein musste, und sie fragte sich, ob er auch das dem Licht am Grund der Kuppel zu verdanken hatte.
    Im Gehen strich der Professor gedankenverloren mit einer Hand über das Geländer. »Es gab an dieser Stelle schon eine Stadt, als die Menschheit noch in ihren Höhlen gehaust hat. Die Lilim haben einmal eine hoch entwickelte Zivilisation besessen - nicht technisch hoch entwickelt, eher vergleichbar mit unserem Mittelalter. Aber sie besaßen eine soziale Struktur und eigene Kultur, sie lebten in Städten und großen Gemeinschaften. Als ich jedoch in die Hölle hinabstieg, war das alles längst vorbei. Die wenigen, die den Niedergang im Laufe der Äonen überstanden hatten, lebten als Einzelgänger in den Weiten der Felswüsten, manche auch in Stämmen und Rudeln. Aber es gab keine Zivilisation in dem Sinne mehr. Das alles war längst untergegangen und vergessen. Zusammen mit dieser Stadt.«
    Merle verstand allmählich. »Als der Morgenstern - oder das Steinerne Licht - hier eingeschlagen ist, hat es die Stadt schon gegeben?«
    Burbridge nickte. »Sie war das Zentrum der alten Lilimkultur. Das Steinerne Licht hat weite Teile davon zerstört und sie für Jahrtausende unbewohnbar gemacht. Als ich herkam, erzählten sich die Lilim einen ganzen Haufen Legenden über die Ruinen der Stadt. Manche behaupteten, das Licht brächte sie dazu, sich zu verändern, zu verformen, zu Zerrbildern ihrer selbst zu werden - zu Menschen.«
    »Und das ist wahr?«
    Burbridge hob die Schultern. »Wer weiß? Vor über sechzig Jahren, als ich meinen ersten Besuch hier unten absolviert habe, war davon jedenfalls nichts mehr zu spüren. Ich entdeckte das Licht und erkannte, dass seine Energien nutzbar sind, für eine ganze Reihe von Dingen. Aber ich wusste natürlich auch, dass ich Helfer brauchen würde, unzählige Helfer, und dass Menschen dafür nicht in Frage kämen.«
    »Warum nicht?«
    »Was glaubst du wohl, wäre geschehen, wenn ich zurück an die Oberfläche gegangen wäre und berichtet hätte, worauf ich hier gestoßen war? Man hätte sich bei mir bedankt, natürlich, mir allerlei Orden ans Revers geheftet und mich nach Hause geschickt. Und dann hätte man andere bestimmt, Nutzen aus diesem Ort zu ziehen. Zuerst das Britische Königreich, dann vielleicht der Zar. Sie hätten Experten beauftragt. Aber mich, einen einfachen Wissenschaftler, hätten sie dazu nicht mehr gebraucht - einen brillanten, aber eben auch sehr jungen Wissenschaftler!« Verbissen winkte er ab. »Nein,

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