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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ein Herz aus Stein?«
    »Ach was! Kontrolliere ihre Anführer, und du kontrollierst die ganze Bande. Weißt du, hier unten wirkt alles gigantisch und maßlos. In Wahrheit aber laufen die Fäden in kleinen Zentren zusammen, wie in einem Knoten. Oder eben einem Herz. Zieh es auf deine Seite, und der Rest ist ein Kinderspiel.«
    Er ging jetzt langsamer, schlenderte fast, ein netter älterer Herr, der keiner Fliege etwas zu Leide tun könnte.
    Pah, dachte sie, hol dich der Teufel! Dann fiel ihr ein, dass er der Teufel war.
    »Aber warum?«, fragte sie noch einmal.
    Er holte tief Luft, blickte auf seine blitzblanken Schuhe, dann geradeaus in den Dunst. »Warum ich hierher gekommen bin und all das aufgebaut habe? Warum ich Bücher voller Lügen über die Hölle geschrieben habe, damit niemand auf die Idee kommt, sich hier runterzuwagen? Für die Wissenschaft natürlich! Wofür sonst?«
    »Sie sind der Herrscher der Hölle geworden, um sie zu erforschen?« Sie erinnerte sich, dass die Fließende Königin einmal etwas ganz Ähnliches vermutet hatte - und fragte sich zugleich, ob sie es nicht sogar gewusst hatte.
    Die Königin schwieg beharrlich.
    »Wir sind zu mehreren hergekommen«, sagte Burbridge. »Ich und eine Hand voll Kollegen der unterschiedlichsten Fakultäten. Mediziner wie der Chirurg, aber auch Kunstwissenschaftler, Geologen und Biologen wie ich selbst, sogar ein Philosoph… Er hat den Fehler gemacht, mit einem Lilim über Platons Höhlengleichnis zu debattieren. Ist ihm nicht gut bekommen. Er dem Lilim übrigens auch nicht.« Er schmunzelte, aber es wirkte fast ein wenig niedergeschlagen. »Wir mussten vieles lernen. Uns auf Neues einstellen und uns grundlegend ändern - nicht nur unsere Ansprüche und Meinungen, sondern auch uns selbst. Unser Gewissen, zum Beispiel. Unsere Moral.«
    Merle nickte, als wüsste sie genau, worüber er sprach. Und im Grunde durchschaute sie recht gut, was er ihr sagen wollte: dass er, ganz gleich, wie man es besah, das Richtige getan hatte. So als hätte er die Opfer, die dieser Wahnsinn gekostet hatte, höchstpersönlich gebracht.
    Mit einem Mal empfand sie ihn nur noch als falsch und verlogen. Sie verachtete ihn beinahe mehr als den Chirurgen. Der Alte im Rollstuhl war zumindest ehrlich gewesen, ihr, aber auch sich selbst gegenüber.
    Burbridge dagegen war ein Heuchler.
    Menschen wie ihn hatte sie schon gehasst, als sie noch im Waisenhaus gelebt und mehr von seiner Sorte kennen gelernt hatte, als ihr lieb war: Aufseher, Priester, Lehrer. Sogar manche von denen, die kamen, um eines der Kinder mitzunehmen.
    Ihr war übel. Nicht von der Höhe, auch nicht vor Angst. Nur von ihm und seiner Nähe.
    »Sie teilen Ihre Forschungsergebnisse mit niemandem. Sie haben der Welt da oben jede Menge Unsinn aufgetischt und alles für sich behalten, was Sie hier unten tatsächlich herausgefunden haben. Welchen Sinn macht das?«
    »Sag mal, Merle, du bist doch auch neugierig, oder?«
    »Sicher.«
    »Dann stell dir deine Neugier vor wie ein Glas Wasser. Und nun nimm ein ganzes Fass davon. Dann weißt du, wie es im Herzen eines Wissenschaftlers aussieht. Eines wahren Wissenschaftlers!«
    Blödsinn, dachte sie. Nur Gerede. Vermutlich logen er und seine Forscherfreunde sich gegenseitig in die Taschen.
    »Sind wir bald da?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
    »Schau nach unten. Du wirst es gleich sehen können.«
    »Das Steinerne Licht?«
    Er nickte.
    »Wie kann ein Licht aus Stein sein?«, fragte sie.
    Er grinste und sah dabei schon wieder schrecklich freundlich aus. »Vielleicht ist es das immer, und du hast es bislang nur nicht bemerkt.«
    Sie blickte über den Handlauf des Geländers hinab in die Tiefe. Er hatte Recht. Der Dunst löste sich allmählich auf. Vage konnte sie dort unten so etwas wie einen dunklen Stern ausmachen, massive graue Streben, die von einem hellen Mittelpunkt aus in alle Richtungen verliefen. Aber erst als sie eine weitere lange Treppe hinabgestiegen waren, sah sie, dass diese Streben Stege waren, die in der Mitte in einen runden Gittergang mündeten. Er hatte einen Durchmesser von etwa hundertfünfzig Metern, und nur ein einziger Steg schnitt quer durch seine Mitte wie eine einsame Speiche.
    Der Gitterkreis schwebte hoch über dem gleißenden Boden der Halle, der sich jetzt, als sie näher kamen, keineswegs als glatte Fläche herausstellte, sondern als mächtige Wölbung, wie das obere Viertel einer Kugel, die im Fels begraben lag. Ihre Größe ließ sich nicht einmal

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