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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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so hatte es ihn jetzt verlassen. Oder wartete darauf, selbst zu erfahren, wie es für einen Menschen war, zu sterben. Die Suche nach einer neuen Erfahrung. Wissen, das es ihm leichter machte, sich den nächsten Menschen, den nächsten Organismus einzuverleiben - oder von ihm einverleibt zu werden, als neues Herz, als neues Zentrum aller Dinge.
    Iskanders Kräfte ließen nach, aber noch immer war seine Stärke furchtbar genug, um auch dem letzten Golem den Garaus zu machen. Schließlich stand Burbridge allein auf einem Haufen aus Geröll und Steinschutt, manche Teile noch annähernd menschlich, andere nichts als Splitter und Sand.
    Iskander holte zum tödlichen Schlag aus, als etwas hinter ihm aus der Tiefe emporschoss, gluthell wie eine Sternschnuppe, nur größer und von einer Form, die annähernd die eines Löwen war. Ein tiefes Brüllen ertönte, überlagerte Iskanders Wutgeschrei und hallte von den fernen Kuppelwänden wider.
    Der Sphinx drehte sich um, seine Bewegungen träger als zuvor, geschwächt vom Kampf und seinem eigenen Zorn. Und anerkannte Vermithrax. Sah das Licht, in das der Obsidianleib des Löwen gebadet war, nein, das ihn durchdrang, so als wäre er selbst zu Licht geworden, Licht aus Stein, nicht heiß, nicht kalt, nur anders, fremd und Angst einflößend.
    Vermithrax packte Iskander am Schädel und zerrte ihn vom Steg, riss ihn hinauf in die Luft, schleuderte ihn empor und brach ihm dabei das Genick.
    Die Schwingen des Sphinx flatterten ein letztes Mal, hielten ihn einen Augenblick in der Leere, dann wäre er gestürzt - wären nicht im selben Moment die fliegenden Lilim herangekommen. Sie fingen den Leichnam auf und trugen ihn rasch davon.
    Burbridge lachte.
    Lachte und lachte und lachte.
    Vermithrax kümmerte sich nicht um ihn, raste stattdessen auf Merle und Junipa zu und landete neben ihnen auf dem Steg. Unter seinen Pranken klirrten die Gitter, als hätte sich sein Gewicht auf einen Schlag vervielfacht.
    »Kommt«, rief er mit einer Stimme, die weniger grollend klang als zuvor, »steigt auf!«
    Sein Körper war nicht mehr schwarz. Er glühte, als hätte man Lava in die Form eines Löwen gegossen, und er war größer, seine gefiederten Schwingen weiter, der Schädel schwerer, seine Zähne und Klauen länger. Inmitten ihrer Erleichterung fragte sich Merle, ob das alles war, was das Licht bewirkt hatte, oder ob es weitere Veränderungen gab, solche, die man nicht sehen konnte, nicht jetzt, sondern später, wenn keiner mehr damit rechnete. Sie erinnerte sich an das Funkeln in den Augen des Professors und sah eine ungleich hellere Glut in Vermithrax’ Blicken, zwei strahlende Punkte wie Sterne, die sich in seinem Gesicht festgesetzt hatten.
    Aber sie war auch glücklich, so glücklich, und sie umarmte den Schädel des glühenden Löwen und tätschelte seine Schnauze, ehe sie mit Junipa auf seinen Rücken sprang und sich festhielt.
    »Er ist noch immer der Alte«, sagte die Königin in ihrem Kopf, und Merle glaubte ihr in diesem Moment. »Immer noch der Alte.«
    Vermithrax stieß sich ab und raste am Pulk der Lilim vorüber, die sich um den toten Sphinx geschart hatten. Sie ließen von Iskanders Leichnam ab; viel war nicht von ihm übrig geblieben. Burbridge brüllte Befehle, und einer der Lilim schoss zu ihm herab und wartete, bis sein Meister sich auf ihm niederließ, einem geschlängelten Wesen, das Ähnlichkeit mit einer Libelle hatte, gewunden wie ein Korkenzieher, mit massiven Flügelschalen wie denen eines Käfers, drei auf jeder Seite, und einem Schädel, der aussah wie ein Strudel aus Zähnen.
    Der Lilim hob ab, setzte sich an die Spitze des fliegenden Rudels und nahm Vermithrax’ Verfolgung auf. Burbridge schrie etwas, aber seine Stimme war so schrill, dass selbst die Lilim ihn nicht verstanden, und so rasten sie hinter dem leuchtenden Löwen her, dem ersten Lebewesen aus Stein, das in die Glut des Steinernen Lichts getaucht war.
    »Sie fürchten sich«, sagte die Fließende Königin. »Sie haben Angst vor Lord Licht, aber ebenso viel Angst haben sie vor Vermithrax und dem, was er jetzt ist.«
    Was ist er denn?, fragte Merle in Gedanken.
    »Ich weiß es nicht«, sagte die Königin. »Ich habe gedacht, ich wüsste vieles, aber jetzt weiß ich nur, dass ich
    nichts weiß.«
    Junipa saß hinter Merle und hatte beide Arme um sie geschlungen, hielt sich verzweifelt fest und versuchte krampfhaft, nicht hinab in den Abgrund zu blicken. Vermithrax stieg immer noch steil nach oben, und es

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