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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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einen winzigen dunklen Punkt, der in einiger Entfernung vor ihnen flog. Sie erkannte ihn gerade noch, ehe er hinter der ersten Biegung des Felsspalts verschwand. Er sah aus wie ein Vogel, wie ein - Ein Falke!
    »Hoffen wir, dass Seth weiß, wie wir hier rauskommen«, rief Vermithrax.
    »Gut möglich«, sagte die Königin und klang endlich wieder wie sie selbst. »Vielleicht schaffen wir es wirklich.«
    Die Wände des Felsspalts wucherten ihnen zu beiden Seiten entgegen. Vermithrax raste mit halsbrecherischer Geschwindigkeit dazwischen hindurch. Vorsprünge, Simse und Felsnadeln verwischten in Merles Augenwinkeln zu einem braunroten Nebel.
    Sie hatten fast die letzte Kurve erreicht, als eine Erschütterung durch die Felswände ging, ein Rütteln und Bersten, gefolgt von Staub und Gerölllawinen, die rechts und links von ihnen in den Abgrund stürzten. Die Vibrationen schienen ihnen entgegenzukommen, als legte sich die Struktur der Felswände in Wellen, die knirschend und donnernd auf sie zurollten. Der Steinschlag wurde heftiger, immer mehr Brocken brachen mit solcher Gewalt aus dem Fels, dass sie weit hinaus in den Spalt getragen wurden. Einige Male schlug Vermithrax rasante Haken, um ihnen auszuweichen, aber auch er konnte nicht verhindern, dass sie immer wieder von kleineren Steinen getroffen wurden, die schmerzhaft wie Geschosse gegen sie prallten.
    Vor ihnen wurde das Ende des Spalts sichtbar, und ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich.
    Das Tor der Stadt war unpassierbar.
    Die Ewigen Kämpfer lebten, waren erwacht, wie alles hier erwachte durch ein Licht aus Stein.
    Die beiden gewaltigen Statuen setzten ihr Ringen fort, vorgebeugt und ineinander verschlungen wie zwei Kinder beim Kampf um ein Spielzeug. Ihr Ringen war so verbissen, ihr Kräfteverhältnis so unentschieden, dass sich ihre Position laufend ähnelte. Immer wieder stießen sie in der Enge der Spaltmündung gegen die Felswände und verursachten weitere Erschütterungen. Merle sah, wie ein Lilim von einem Gesteinsbrocken getroffen und in die Tiefe gerissen wurde. Andere prallten gegen die Wände, manche fingen sich gerade noch, einige stürzten ab.
    Am schlimmsten aber traf es den Strom der Pilger und Wanderer, die zwischen den Füßen der Felsriesen dahingezogen waren. Das endlose Band war zerfasert. In Panik strömten jene, die es noch bis ins Innere des Spalts geschafft hatten, vorwärts, stürzten und stolperten übereinander, rappelten sich hoch, rannten weiter, auf zwei, vier und noch mehr Beinen; manche stießen Schreie aus, die beinahe menschlich klangen, andere hohe Pfiffe, krächzendes Schnarren oder auch Laute, für die es kein Wort und keine Beschreibung gibt.
    Auch wenn die beiden Steinriesen im Kampf den Spalt nicht vollkommen ausfüllten, so lief doch jeder, der sich zwischen sie wagte, Gefahr, auf der Stelle zermalmt zu werden. Es war selbstmörderisch, das Tor zu durchfliegen.
    »Ich versuch’s«, rief Vermithrax.
    Merle blickte abermals über ihre Schulter, nickte erst Junipa aufmunternd zu und sah dann auf ihre Verfolger. Die Lilim waren ihnen beharrlich auf den Fersen. Zuletzt, als Vermithrax wegen der Kämpfer langsamer geworden war, hatten sie wieder ein wenig aufgeholt. Lord Licht ritt immer noch an ihrer Spitze. Sie fragte sich, wie es ihm gelungen war, die Kämpfer aus der Ferne aufzuwecken. Vorhin, als es ausgesehen hatte, als ob der Sphinx ihn töten würde, da hatte Merle angenommen, das Steinerne Licht habe sich aus Burbridge zurückgezogen - doch nun schien es zurück zu sein, vielleicht stärker denn je; es gab keinen Zweifel, dass das Licht mit seiner Macht über Stein und Fels die Ewigen Kämpfer ins Leben gerufen hatte. Plötzlich kam Merle der Gedanke, dass womöglich bereits dieser ganze Ort, vielleicht die gesamte Hölle vom Steinernen Licht besessen war. Und sie stellte sich die Frage, ob es nicht ein Fehler gewesen war, das Ägyptische Imperium als die größte Gefahr für die Welt anzusehen. Vielleicht hatten sie sich getäuscht; vielleicht war gar nicht der Pharao, auch nicht Lord Licht oder die Hölle die schrecklichste Bedrohung für sie alle. Vielleicht fand hier im Verborgenen ein ganz anderer Krieg statt. Das Steinerne Licht strebte nach mehr. Erst die Hölle. Dann die Oberwelt. Und danach, mit Junipas Hilfe, all die anderen Welten, die irgendwo hinter den Mauern aus Traum und Phantasie existieren mochten.
    Vermithrax zog unvermittelt seine Schwingen ein und ließ sich nach unten fallen. Etwas

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