Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Stellen. Überall waren Matrosen mit Tüchern und Schwämmen und Schmirgelpapier zugange, strichen an und lackierten, rissen alte Teppiche heraus und ersetzten sie aus dem Fundus der überfüllten Laderäume. Viele der verstauten Gegenstände hatten jahrzehntelang dort gelegen, manche vermutlich bereits seit den Kaperfahrten des Vorbesitzers, lange vor Beginn des Mumienkrieges. Sogar Calvino schien überrascht, was dort zu Tage kam, Kunstschätze und prachtvolles Handwerk, wie er es seit langem nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Ihm wurde wohl mehr und mehr bewusst, sagte Unke zu Serafin, dass er zu lange in der Bronzewelt des Unterseebootes gefangen gewesen war und vergessen hatte, die Schönheiten der Oberwelt zu würdigen. Was ihn freilich nicht davon abhielt, wie ein Berserker herumzutoben, seine Männer anzuschreien und für übersehene Schmutzstreifen und Rostflecken drakonische Strafen zu verhängen.

    Serafin hatte das unbestimmte Gefühl, dass Unke den Piratenkapitän mochte. Nicht so, wie sie Arcimboldo verehrt hatte, und doch ... da war etwas zwischen den beiden, eine absurde Hassliebe, die Serafin zugleich amüsierte und verunsicherte. War es möglich, dass zwei Menschen sich unter solchen Umständen näher kamen? Und wie war das mit ihm und Merle gewesen? Die Erkenntnis, dass sie weniger Zeit miteinander verbracht hatten als Unke und Calvino während der kurzen Reise, beschäftigte ihn. Ihm kamen Zweifel, ob Merle wohl ebenso oft an ihn dachte wie er an sie. Vermisste sie ihn?
    Bedeutete er ihr überhaupt etwas?
    Ein entsetzliches Knirschen und Krachen brachte seine Grübeleien zu einem abrupten Ende. Es dauerte nicht lange, bis Calvinos Gebrüll aus den Sprachrohren schallte, um ihnen fluchend mitzuteilen, was geschehen war.
    Sie saßen fest. Hatten sich im Packeis des Nils festgefahren, kamen weder vor noch zurück. Die Eisenflossen des Unterseebootes hatten sich wie ein Sägeblatt in die Eisdecke gefressen und über eine Strecke von einigen Dutzend Metern eine Schneise hineingepflügt, um sich dann hoffnungslos zu verkanten.
    Serafin fürchtete das Schlimmste und eilte zur Brücke. Dort aber standen Calvino und Unke gelassen nebeneinander vor dem Sichtfenster des Bootes und blickten unterhalb der Eisdecke in das Wasser des Nils hinaus. Die Feuerblasen der Hexe waren an der Küste zurückgeblieben, aber der vage Lichtschein, der durchs Eis schimmerte, reichte aus, das Nötigste zu erkennen. Durch die Scheiben sah es so aus, als klebte das Unterseeboot unter der weißen Decke einer diffusen Halle. Eissplitter, so dick wie Baumstämme, ragten von oben in das Sichtfeld des Fensters.
    Es erwies sich, dass Kapitän Calvino in einer Notlage keineswegs so unbeherrscht war, wie Serafin vermutet hätte. Er ließ sich alle Fakten aufzählen, beriet sich mit Unke und gab dann Befehl, die obere Luke des Bootes zu öffnen, damit die Passagiere aussteigen konnten.
    Aussteigen?, dachte Serafin entsetzt. War das etwa Unkes Ratschlag gewesen? Sie einfach inmitten dieser Eiswüste abzusetzen?
    Eine Stunde später standen Unke und Lalapeja, Serafin und Dario, Tiziano und Aristide an der Luke bereit, verpackt in die dickste Fellkleidung, die in den Laderäumen der Piraten zu finden war. Calvino erinnerte sich, dass sie aus einem auf Grund gelaufenen Schoner stammte, dessen Mannschaft er zu Beginn des Krieges aufgerieben hatte. Das Schiff war auf dem Weg nach Thule in Grönland gewesen, um dort weiß der Himmel was im Austausch gegen die warme Kleidung an Bord zu nehmen. Die Jacken, Stiefel und Hosen passten nicht jedem, vor allem Lalapeja war mit ihrem zarten Körper im Nachteil, aber sie würden ausreichen, sie vor dem Erfrieren zu schützen. Zu guter Letzt setzte ein jeder eine unförmige Fellmütze auf und schlüpfte mit den Händen in wattige Fausthandschuhe. Aus der Waffenkammer händigten ihnen die Piraten Revolver, Munition und Messer aus. Nur Lalapeja verzichtete auf eine Bewaffnung.
    Calvino blieb mit seinen Männern zurück, um das Boot zu bewachen und zu versuchen, den Flossenkamm aus dem Eis zu befreien. Er vermutete, dass es viele Stunden, vielleicht sogar Tage dauern würde, und die Sorge, von ägyptischen Sonnenbarken entdeckt zu werden, stand ihm deutlich im Gesicht geschrieben. Obwohl Unke ihn nicht darum bat, gab er ihnen das Versprechen, drei Tage auf ein Lebenszeichen zu warten, ehe er ins offene Meer zurückkehrte.
    „Wohin wollen wir überhaupt?" Tiziano sprach missmutig aus, was sie alle sich

Weitere Kostenlose Bücher