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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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schon ein Dutzend Mal gefragt hatten.
    Unke stand unterhalb der offenen Luke, die ins Freie führte. Das weiße Rund umrahmte ihren Kopf wie ein gefrorener Heiligenschein. Ihr Blick konzentrierte sich auf Lalapeja, die alles andere als glücklich in ihrer viel zu großen Fellkleidung wirkte. Auch Serafin musterte die Sphinx, und einmal mehr fragte er sich, was sie dazu bewegte, den verzweifelten Trupp noch immer zu begleiten. Wirklich nur der Hass auf das Imperium? Der Verlust des toten Sphinxgottes, der Jahrtausende lang unter der Friedhofsinsel San Michele geruht und den sie vergeblich vor dem Imperium zu schützen versucht hatte?
    Nein, dachte Serafin, da war noch etwas, etwas Unausgesprochenes, von dem sie alle nichts ahnten. Er konnte es so deutlich spüren, als spräche etwas in den Augen der Sphinx zu ihm.
    „Lalapeja", sagte Unke. Ihre Worte klangen fast ein wenig feierlich. „Ich nehme an, du ahnst, wo wir sind. Vielleicht hast du schon die ganze Zeit gewusst, dass der erste Teil unserer Reise hier enden würde."
    Lalapeja sagte nichts, und sosehr Serafin sich auch bemühte, fand er doch keine Antwort in ihrem Schweigen. Sie bestätigte nichts, stritt nichts ab.
    Unke fuhr fort: „Nicht weit von hier, mitten im Delta des Nils, steht die Festung der Sphinxe. Die Meerjungfrauen haben keinen Namen dafür, aber ich denke, dass es einen gibt. Der Kapitän kennt diesen Ort, und wenn der Wintereinbruch nicht Schlimmeres bewirkt hat, als alles mit Eis und Schnee zu bedecken, müsste sie sich höchstens zwei, drei Meilen von hier befinden."
    „Das Eiserne Auge sieht dein Leben, sieht dein Streben, sieht dein Sterben", rezitierte Lalapeja, und die Worte klangen für Serafin wie ein Sprichwort aus einer fernen Vergangenheit. Die Sphinx hatte ganze Zeitalter einsam in Venedig zugebracht, aber die Kultur ihres Volkes hatte sie nicht vergessen.

    „Das Eiserne Auge - das ist der Name, den du suchst, Unke. Und, ja, ich kann es spüren. Die Nähe anderer Sphinxe, viele an einem Ort. Es ist Selbstmord, dorthin zu gehen." Aber so, wie sie es sagte, klang es nicht wie eine Warnung, sondern wie die Feststellung von etwas, das ohnehin unvermeidlich war.
    „Was wol en wir dort?", fragte Aristide.
    „Es ist das Herz des Imperiums", sagte Lalapeja an Unkes statt. „Wenn es einen Punkt gibt, an dem man es verletzen kann, dann dort." Sie sagte nichts von einem Plan, vermutlich weil es keinen gab. Die Festung der Sphinxe, daran zweifelte niemand, war uneinnehmbar.
    Unke zuckte die Achseln, und Serafin erinnerte sich wieder an das, was sie zur Meerhexe gesagt hatte: dass sie irgendwo beginnen mussten, wenn sie sich dem Imperium entgegenstellen wollten. Dass ein Sieg auch im Kleinen liegen konnte. Ihre Worte waren Serafin seither nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
    Aber was half es, wenn sie alle dabei starben? Es war, als würden sie freiwillig gegen eine Wand laufen, trotz der Gewissheit, dass sie ihr nicht einmal einen Kratzer zufügen konnten.
    Er wollte seine Zweifel gerade aussprechen, als er spürte, wie Lalapeja ihn sanft an der Hand berührte. Ohne dass einer der anderen es bemerkte, beugte sie sich an sein Ohr und flüsterte: „Merle ist dort."
    Er starrte sie entgeistert an.
    Lalapeja lächelte.
    Merle?, dachte er, wagte aber nicht, eine Frage zu stellen. Wenn Dario und die anderen davon erfuhren, würden sie ihm vorwerfen, er ließe sich nur auf diese Sache ein, weil er Merle Wiedersehen wollte, nicht weil er an ihr höheres Ziel glaubte. Gut, dachte er, sollen sie ihren hehren Idealen folgen; er jedenfalls wusste, warum er es wirklich tat, und seine Motive erschienen ihm nicht weniger ehrenhaft als die ihren. Sie kamen aus ihm selbst, aus seinem Herzen.
    Lalapeja nickte kaum merklich.
    Unkes Stimme ließ sie beide zur Luke aufschauen. Serafin hatte das Gefühl, alles nur noch verschwommen wahrzunehmen, die Umgebung, Unkes Rede, die Anwesenheit der Übrigen. Plötzlich brannte er darauf, ins Freie zu klettern.
    Merle ist dort, hörte er die Sphinx wieder und wieder sagen, und die Worte schwirrten durch seinen Kopf wie Motten um Kerzenlicht.
    Unke hatte nicht aufgehört zu reden, gab Anweisungen für das Verhalten im Schnee, aber Serafin hörte kaum hin.
    Merle ist dort.
    Endlich brachen sie auf.
    Zurück zum Licht
    Ich kann es spüren. Bei jedem Schritt. Jedes Mal, wenn ich Luft hole." Junipa hielt ihre Stimme gesenkt, damit niemand außer Merle sie hören konnte. „Es ist, als wäre da etwas in mir ... hier, in

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