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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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selbst in einem Augenblick wie diesem. Einmal dachte Merle: Sie heckt etwas aus. Doch dann sagte sie sich, dass die Königin von ihnen allen vermutlich am besten wusste, was ihnen bevorstand. Und wer konnte ihr da verübeln, dass ihr nicht nach Gerede zu Mute war.

    Es war Vermithrax, der sie daran erinnerte, dass sie ihren Weg fortsetzen mussten. Merle gab sich daraufhin alle Mühe, Lalapeja und Serafin ihren Plan zu schildern. In Anbetracht der Tatsache, wie viel sich seit ihrem letzten Zusammentreffen ereignet hatte, wurde ihr schnell klar, dass sie sich auf die notwendigsten Erklärungen beschränken musste. Trotzdem erntete sie mehr als einmal ungläubige Blicke, und es dauerte eine Weile, bis sie schließlich zu Winters Rolle in der ganzen Geschichte kam: wer er war, was er suchte und weshalb sie ihn suchten.
    Während sie sich zusammen an den Abstieg machten, übernahm es Serafin zu berichten, wie es sie hierher verschlagen hatte. Als er erwähnte, dass sich auch Unke, Dario und die anderen im Eisernen Auge aufhielten, konnte Merle es kaum glauben. Ausgerechnet Dario! Ihr Erzfeind aus der Spiegelwerkstatt. Aber mehr noch als ihr eigener war er Serafins Gegner gewesen; wenn aus beiden nun Freunde geworden waren, musste in der Tat eine Menge geschehen sein. Sie brannte darauf, Einzelheiten zu erfahren.
    „Unke ist verletzt", sagte Serafin. Er berichtete, wie sie am Fuß der Festung in einen Kampf mit einem Sphinx- Wächter verwickelt worden waren. Unke hatte sich einen Unterschenkel gebrochen, während Dario und Aristide schwere Schnittverletzungen erlitten hatten. Keiner von ihnen schwebte in Lebensgefahr, aber nachdem sie versucht hatten, gemeinsam eine der Treppen im unteren Bereich des Auges zu ersteigen, hatten die anderen aufgeben müssen. Tiziano war bei ihnen geblieben, damit die Verwundeten nicht auf sich allein gestellt waren, während Lalapeja und Serafin den Aufstieg fortgesetzt hatten. „Ich wollte sie nicht zurücklassen", sagte er zuletzt, „aber was hätten wir tun sollen?"
    „Wir hätten zusammen zum Boot umkehren können", sagte Lalapeja. „Aber dann wäre alles umsonst gewesen. Deshalb haben Serafin und ich beschlossen, allein weiterzugehen."
    „Wo sind sie jetzt?", fragte Merle.
    „In einer Bibliothek, in der Nähe der Eingänge", sagte Serafin. „Es gibt riesige Bibliotheken dort unten, unfassbar groß."
    Merle sah ihn ungläubig an. Bis jetzt hatte sie im Eisernen Auge nichts als Spiegel gesehen. Säle, Hallen, Kammern aus Spiegeln. Die Vorstellung einer oder sogar mehrerer riesiger Bibliotheken passte nicht in das Bild, das sie sich von der Festung bisher gemacht hatte. Sie sprach ihre Gedanken laut aus.
    Lalapeja schaute über die Schulter. „Euch mögen die Sphinxe vorkommen wie ein Volk von Kriegern und Eroberern. Ihr habt sie nicht anders kennen gelernt, in Venedig beim Pharao oder hier. Aber die Sphinxe sind weit mehr als das. Sie sind ein Volk von Gelehrten. Es gibt viele Weise unter ihnen, und einst schenkten sie der Welt große Philosophen, Erzähler und Stückeschreiber. In den alten Wüstenstädten gab es Theaterarenen, in denen wir uns versammelten, nicht nur um zuzuschauen, sondern auch, um zu diskutieren. Nicht alle Auseinandersetzungen der Sphinxe wurden damals mit Waffen geführt. Ich kann mich an die großen Reden erinnern, an die klugen Dispute und Vorträge - alles zu einer Zeit, als die Menschen mehr Ähnlichkeit mit Tieren hatten als die Sphinxe heutzutage. Es gab große Geister unter uns, und erst die Künstler ... Die alten Lieder und Gedichte der Sphinxe besitzen eine Poesie, die den Menschen fremd ist."
    „Sie spricht die Wahrheit", sagte die Fließende Königin unvermittelt. „In gewisser Weise, jedenfalls.
    Allerdings waren die Menschen damals nicht mehr ganz so primitiv und einfältig, wie sie behauptet."
    Natürlich nicht, dachte Merle bissig, sonst hätten sie dich wohl kaum zur Göttin gemacht.
    „Das habe ich mir nicht ausgesucht", sagte die Königin. „Es ist eine Eigenart der Menschen, denjenigen, den sie verehren, vorher nicht um Erlaubnis zu bitten. Und leider auch eine Eigenart der Götter, sich an ihre Verehrung zu gewöhnen."
    Sie waren gut zweihundert Meter weit einem breiten Gang mit hoher Kuppeldecke gefolgt, fast einer Art überdachter Straße, wenn auch größer und imposanter, als Vermithrax mit dem Kopf nach vorne deutete. „Da! Seht ihr das?"
    Merle blinzelte in das blendende Weiß der Schneefläche, die sich durch die Spiegel auf

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