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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Menschenschultern.
    Vermithrax nutzte seinen Vorteil, indem er sich mit seinen Reitern in die Luft erhob. Lalapeja blieb am Boden zurück, doch der Obsidianlöwe hatte nicht vor, sie im Stich zu lassen. Er stürzte sich von oben auf den ersten Gegner am Torbogen, hieb ihm das Bolzengewehr aus den Händen und streifte im Vorbeiflug mit den Hinterpranken seinen Schädel. Der Sphinx war tot, ehe er mit einknickenden Läufen in den Schnee sank.
    Die übrigen Krieger reagierten schnell und effektiv: Sie schoben die Sphinxforscher zurück unter den Torbogen, wo sie vor den Luftattacken des Löwen geschützt waren. Einer sprang hervor und stellte sich Vermithrax mit erhobenem Schwert entgegen, während ein anderer versuchte, im Schnee das Gewehr zu erreichen - offenbar ihr einziges.
    Vermithrax raste an dem ersten Sphinx vorüber und zuckte nicht einmal, als ein Schwerthieb Funken sprühend von seinem Obsidiankörper abprallte; die Waffe wurde dem Sphinx dabei aus der Hand geprellt. Der Löwe stürzte sich auf den zweiten Sphinx, packte ihn an den Armen, riss ihn mit sich in die Höhe und schleuderte ihn wie eine Lumpenpuppe gegen die Spiegelwand. Das Glas hielt dem Aufprall nicht stand. Der leblose Sphinx stürzte in einem Hagel aus Silbersplittern zu Boden und regte sich nicht mehr.
    Einer der Forscher hatte die Gelegenheit genutzt, war aus dem Schutz des Torbogens gesprungen und hatte das Bolzengewehr aufgehoben. Er war ungeübt im Umgang mit Waffen; sein erster Schuss pfiff meterweit an Vermithrax vorbei und stanzte einen Sprung in die Kuppeldecke.
    Derweil war Lalapeja losgeprescht, hinter den Eisstatuen entlang und auf den einzigen möglichen Fluchtweg zu: ein niedriger Gang, der etwa dreißig Meter entfernt in die breite Spiegelstraße mündete.
    Wäre sie der Straße gefolgt, hätte sie ein perfektes Ziel abgegeben. Ihr blieb nur der Durchgang, dessen untere Hälfte von einer mannshohen Schneewehe blockiert wurde. Sie stob hinein wie in einen Hügel aus Mehl: Pulvriges Weiß explodierte in alle Richtungen, dann war sie außer Sicht.
    Vermithrax flog eine enge Schleife unter der Decke. Merle, die an solche Manöver gewöhnt war, schrie Serafin zu, er solle sich gut an ihr festhalten. Er verstärkte seinen Griff, mit starren, eiskalten Fingern, während sie selbst ihr Bestes gab, sich in die Mähne des glühenden Löwen zu krallen. Serafin war schlank und drahtig, aber er wog immer noch um einiges mehr als die federgewichtige Junipa.
    Merle war nicht sicher, wie lange sie sich würde halten können. Ihre froststarren Finger hatten an Kraft verloren, im Grunde spürte sie kaum noch ihre Gliedmaßen. In der dichten Mähne waren sie vor der schneidenden Zugluft geschützt, aber das war ein schwacher Trost, angesichts ihrer Lage. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe sie beide von Vermithrax' Rücken purzelten; unten würden sie sich entweder alle Knochen brechen oder von den vereisten Sphinxleibern aufgespießt werden.
    „Hast du gesehen, wie viele es sind?", brül te Serafin ihr ins Ohr, um den Wind und die rauschenden Schwingen zu übertönen.
    „Jedenfalls zu viele."
    „Aber nicht genug, oder?"
    „Wie meinst du das?"
    „Ich weiß, was er denkt", sagte die Königin, „und er hat Recht."
    Serafin lehnte sich noch näher an Merle, was angenehm war, selbst hier und jetzt, und er brachte seine Lippen so nah an ihr Ohr, dass sie ihr Haar berührten. Das Kribbeln in Merles Bauch verstärkte sich, und das lag nicht nur an Vermithrax' neuerlichem Angriffsflug auf die Sphinxe. „Zu wenige!", rief Serafin noch einmal. „Das hier ist ihre Festung, für sie der sicherste Ort überhaupt. Das, was dort unten geschehen ist, zerstört ihre Welt. Und dann schicken sie nur eine Hand voll Krieger und Forscher?"
    Merle spürte, wie er an ihrem Nacken den Kopf schüttelte. „Das macht keinen Sinn."
    „Es sei denn", sagte sie, „es gäbe keine anderen mehr, die sie entbehren könnten. Aus demselben Grund ist es euch gelungen, so einfach in die Festung zu spazieren."
    „Es war nicht einfach", widersprach er.
    Merle dachte an die Verwundeten, hielt aber trotzdem dagegen: „Unter normalen Umständen hätten euch ein paar Dutzend Wächter erwartet, nicht nur einer. Oder glaubst du, die Sphinxe lassen das Eiserne Auge so gut wie unbewacht?"
    Vermithrax tötete im Vorbeiflug einen Sphinxkrieger, mit einer Leichtigkeit, als pflücke er eine Blüte von einem Blumenstängel. Die Sichelschwerter seiner Gegner schlugen abermals Funken an

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